Interview: „Es sieht düster aus in Afghanistan“

Die Hilfsorganisation Medica Mondiale beklagt ein Erstarken fundamentalistischer Kräfte in dem Land.

Köln. Aus Afghanistan kommen verstärkt Meldungen über Grausamkeiten der Taliban. Ein junges Paar wird gesteinigt, internationale Helfer werden angegriffen. Bele Grau von der Hilfsorganisation Medica Mondiale sagt: "Die fundamentalistischen Kräfte im Land werden stärker."

Grau: Nein, die Gewalt nimmt zu. Und der Raum für Demokratie und Menschenrechte wird kleiner. Das Problem ist, dass die fundamentalistischen Kräfte im Land wieder stärker geworden sind.

Grau: Nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes gab es ein Machtvakuum, die Menschen wollten aber wirklich etwas Neues. Durch die Zunahme der kriegerischen Auseinandersetzung, aber auch durch Fehler des Westens gibt es eine Ernüchterung, die zu einer Gegenreaktion geführt hat.

Grau: Es gibt noch andere fundamentalistische Gruppen im Land, aber natürlich profitieren die Taliban von dieser Entwicklung. Sie schüren diese Stimmung.

Grau: Die afghanische Regierung ist sehr schwach. Ihre Macht erstreckt sich kaum über Kabul hinaus. In den anderen Gebieten wird entweder noch um die Macht gekämpft, oder die Taliban beherrschen sie und üben dort eine restriktive Form der Scharia aus.

Grau: Infolge einer konservativen Auslegung der Scharia, aber auch des traditionellen Stammesrechts werden sie wieder ins Haus verbannt, dürfen sich nicht alleine auf der Straße bewegen. Sie haben keine Möglichkeit, ein eigenes Leben zu führen. Und es gibt ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen.

Grau: Es sieht düster aus. Die afghanische Regierung ist nicht wirklich an Demokratie, Menschen- und Frauenrechten interessiert. Sie ist zudem sehr schwach. Und sie versucht nun, mit den Taliban zu verhandeln, um den Krieg zu stoppen. Das wird aber dazu führen, dass sie Zugeständnisse machen muss.

Grau: Es ist wichtig, eine Zivilgesellschaft aufzubauen und insbesondere die Frauenbewegung zu unterstützen. Hier muss sich auch die Bundesregierung viel stärker engagieren, ebenso wie im Kampf gegen Armut. Die internationale Gemeinschaft hat zu lange versäumt, Druck auf die afghanische Regierung für eine gute Regierungsführung auszuüben.