Kommentar: Mehr als nur Tony Blairs Vermächtnis

Ein wahrhaft historischer Moment für Nordirland.

Düsseldorf. Es ist ein Begriff, den man mit Vorsicht verwenden sollte, doch die Regierungsbildung in Nordirland ist in der Tat ein historisches Ereignis. 3000 Menschenleben hat der blutige Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten gefordert. Wie vielen er Gesundheit und Seelenfrieden geraubt hat, wird wohl nie beziffert werden. Mag sich die Welt längst abgewandt haben, weil schlimmere Unruheherde Aufmerksamkeit verlangen, weil sich das Leben auf der grünen Insel normalisiert hatte - wirkliche Normalität herrschte nicht. Das beginnt schon damit, dass die erste Regierung im Jahr 2002 auseinander brach, weil sich die einstigen Feinde weiter belauerten, misstrauten und beschimpften. So konnte das Versprechen weitgehender Unabhängigkeit aus dem Karfreitags-Abkommen von 1998 eben nicht eingelöst werden, so blieb Nordirland unter dem Kuratel Londons. Und es war ungewiss, dass dieser zweite Anlauf gelingen würde. Kaum zwei Jahre ist es her, dass die IRA der Gewalt abschwor, und erst im Januar erklärte "Sinn Fein", künftig Justiz und Polizei anzuerkennen. Noch länger dauerte es, bis sich Ian Paisley zum Gespräch mit seinen Gegenspielern bereit erklärte. Noch nach der Wahl im März ließen Paisley und Martin McGuinness eine Frist zur Regierungsbildung verstreichen. Der britische Premier Tony Blair hat ihnen schließlich das Ultimatum für gestern gesetzt und musste sich seither anhören, es ginge ihm in erster Linie um sein eigenes Vermächtnis. Tatsächlich wird Blair, der in dieser Woche seinen Rückzug als Partei- und Regierungschef bekannt geben will, darauf spekuliert haben, zum Abschied eine gute Nachricht verkünden zu können. Doch sein Engagement darauf zu verkürzen, wäre böswillig. Der zuletzt viel gescholtene Premier hat sich seit dem Amtsantritt vor zehn Jahren mit Leidenschaft für die Beilegung des Konflikts eingesetzt. Alle, die jetzt im Parlament in Belfast mit einander plauderten, hat er schon zum Gespräch eingeladen, als sie einander nicht einmal "Guten Tag" gesagt hätten. Wenn er nun also von einem für ihn sehr emotionalen Tag spricht, darf man das glauben. Gleiches gilt für Paisley und McGuinness. Doch während Blair sich von der Politik verabschiedet, liegt ihre große Herausforderung noch vor ihnen.