Kommunismus, Konfuzius und Kommerz statt Demokratie

Folgt auf eine wirtschaftliche Öffnung zwingend die politische? In China offenbar (noch) nicht.

Peking. Es ist noch nicht so lange her: In den 70er Jahren lebten die meisten Pekinger dicht an dicht in der Altstadt, eigene Autos besaßen sie nicht, und von weitem sah man nur ein paar rauchende Schlote. Von einer Metropole mit "Skyline" konnte keine Rede sein. Heute misst sich Chinas Hauptstadt locker mit Berlin, Paris, London oder Moskau. Ein besonderes Flair sucht man zwar vergebens. Doch man darf nicht vergessen, in welchem Tempo das moderne Peking entstanden ist: Hier wuchs in zwei Jahrzehnten das, wofür die europäische Konkurrenz Jahrhunderte brauchte.

Es gibt nichts, was man in Peking nicht bekommt - für Geld. Die Stadt ist durch und durch kommerzialisiert. Dass man in einem diktatorischen Regime lebt, bemerkt man erst dann, wenn man sich mit Einheimischen unterhält. Sobald das Gespräch politisch wird, werden die Chinesen einsilbig. Westliche Presse findet man nur eingeschränkt. Und wer dann abends im Hotel ins Internet geht, um sich über den Lauf der Welt zu informieren, ärgert sich über nicht erreichbare Seiten. Die Staatssicherheit hat das Land fest im Griff.

Wie geht das zusammen: Kapitalismus und Diktatur? Ist eine Entwicklung, wie sie Taiwan und Südkorea durchgemacht haben, nicht auch in China vorstellbar - oder sogar zwingend? Ist eine demokratische(re) Staatsform nicht die automatische Folge wirtschaftlicher Öffnung?

Auch die asiatischen Tigerstaaten starteten einst als Entwicklungsdiktaturen. Eine politische Opposition gab es dort nicht. Ungestört von lästiger Meinungsfreiheit wurde effizient durchregiert: Die Regime in Taipeh und Seoul modernisierten ihre Wirtschaft, sie öffneten die Märkte. Der konjunkturelle Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Wohlstand wurde geschaffen, eine gesellschaftliche Mittelklasse entstand. Die für die Autokraten gefährliche Konsequenz war: Jede Mittelklasse strebt nach Mitbestimmung. Die Autorität der Herrschenden verfiel. Inzwischen gelten Taiwan und Südkorea als stabile Demokratien. Ein Modell für die Volksrepublik China? Es gibt Parallelen.

Als die Reformer um Deng Xiaoping auf das Modell einer eingeschränkten Marktwirtschaft setzten, private Einzelbetriebe zuließen und die Preise freigaben, setzte ein sensationeller Boom ein. Der Westen investierte Milliarden in das aufstrebende Reich. Das Regime sorgte für die Infrastruktur. Weil langatmige demokratische Entscheidungsprozesse ebenso wegfielen wie schleppende Genehmigungsverfahren, ging das alles rasend schnell.

Mittlerweile kann man schon jeden zehnten Chinesen zur Mittelschicht zählen. Manche Beobachter glauben, dadurch baue sich nun ein gewaltiger Mitbestimmungs-Druck auf; die Sehnsucht der Gebildeten, sich nicht länger von einer Funktionärsclique gängeln zu lassen, nehme zu. Wird die Kommunistische Partei am Ende ebenso entmachtet wie die Guomindang-Partei auf Taiwan? Nicht unbedingt.

Viele, die es zu etwas gebracht haben, arrangieren sich mit dem Regime. Es verspricht wachsenden Wohlstand und politische Stabilität. Forderungen nach einer politischen Öffnung und nach Menschenrechten erscheinen da eher kontraproduktiv.

Hinzu kommt, dass sich die Machthaber geschickt die Lehren des Konfuzius zueigen machen - jenes Staatsphilosophen also, den die Kommunisten lange als reaktionär ablehnten, dessen Denken aber im Volk fest verankert ist. Konfuzius: Das bedeutet Harmonie statt Konfrontation, Gemeinschafts- statt Einzelinteressen. Demokratischer Streit hat da keinen Platz. Noch nicht.