Gefängnisse platzen aus allen Nähten

Strafvollzug: Ein Experte warnt vor einem drastischen Sparkurs. Ein Jahr nach dem Foltermord Siegburg hagelt es Kritik.

Düsseldorf. Der Kriminologe Frank Neubacher hat die Bundesländer davor gewarnt, an der Ausstattung der Gefängnisse zu sparen. Die Zahl der Strafgefangenen sei bundesweit von rund 46000 im Jahr 1995 auf einen historischen Höchststand von 64512 (Stand: März 2006) gestiegen. Dabei sei die Kriminalität in den letzten Jahren sogar zurückgegangen. Die Zahl der Gefangenen nehme wegen der "harschen Kriminalpolitik" zu.

Statt nach härteren und längeren Strafen zu rufen, müsse die Überbelegung im geschlossenen Vollzug abgebaut werden. Es sei doch paradox, dass gleichzeitig im offenen Vollzug vielerorts Kapazitäten frei seien - einer Vollzugsform, die doch nachweislich Subkultur und Gewalt reduziere.

Die Überbelegung hat Folgen: "Das Gefängnis ist ein gefährlicher Ort", sagt Neubacher, der als Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Jena lehrt.

Fast 100 Häftlinge nähmen sich jedes Jahr in deutschen Gefängnissen das Leben. Und bei der Gewalt gegen Mithäftlinge bleibe vieles im Dunkeln, weil die meisten Taten gegenüber den Justizbediensteten nicht angezeigt würden. Keiner wolle als "Zinker" gelten, auch aus Angst, bei Anzeige eines Übergriffs weitere Angriffe befürchten zu müssen. Neubacher: "Vor allem Verurteilte, die neu im Gefängnis sind, stehen gehörig unter Druck, sich der Insassensubkultur anzupassen, da sie, wenn sie nicht stark genug sind, Gefahr laufen, von anderen Gefangenen ,eingepasst’ zu werden."

Die Gewalt in den Gefängnissen konterkariere dabei auch das Ziel, die Häftlinge auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Neubacher: "Wenn Gefangene subkulturelle Verhaltensweisen in einem Prozess der Anpassung und des sozialen Lernens übernehmen, dann ist es auch das Gefängnis selbst, das diese neuen Werte und Verhaltensweisen erzeugt."

Studie 2005 wurden 681 Gewaltdelikte in NRW-Gefängnissen gemeldet. Experten gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus, weil vieles nicht angezeigt wird. Überproportional viel Gewalt wird im Jugendvollzug registriert. Die Studie finden Sie unter dem Suchwort "Gewalt unter Gefangenen" bei

Sicherheit des Strafvollzugs - diese Frage verkürzen die Öffentlichkeit, die Medien und die Politik oftmals recht einseitig. Sie bemessen diese Sicherheit an der Zahl von Ausbrüchen, also an der Sicherung des Vollzugs nach außen. Die Sicherheit nach innen - die der Gefangenen und der Bediensteten - kommt dagegen zu kurz. Der Siegburger Foltermord an einem Häftling durch Mithäftlinge hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diese Frage geweckt. Doch es droht die Gefahr, dass wir uns wieder abwenden. Dass wir die überbelegten Gefängnisse achselzuckend als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen.

Für diese Haltung gibt es eine gute Erklärung. Uns fällt es schwer, Straftäter auch als Opfer wahrzunehmen. Schnell kommt einem da in den Sinn: Verbrecher haben doch keine Behandlung mit Samthandschuhen verdient. Strafe muss weh tun.

Ja klar, Strafe soll ja auch weh tun. Doch Strafe in unserem Rechtsstaat besteht im Freiheitsentzug, nicht in einer zusätzlichen Bedrohung, der sich der Häftling zu stellen hat. Doch wenn die Bürger und ihnen folgend die Politik immer härtere Strafen einfordern, wenn dann die Gefängnisse überbelegt sind, wenn es nicht genügend Personal gibt, das sich um die Nöte bedrohter Häftlinge kümmert, dann steigt eben auch die Gefahr von Übergriffen.

Das ist nicht mein Problem, mag der eine oder andere sagen. Mehr und besser ausgebildetes Personal kostet doch nur Steuergeld. Der Bürger, der dieses Geld sparen will, sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass er da nicht nur auf dem Rücken der Strafgefangenen spart. Wenn das Gefängnis dazu beiträgt, dass die Insassen verrohen, dass sie Gewalt als einzige Durchsetzungsmöglichkeit sehen, dann bedeutet das auch: Das hier Erfahrene und Gelernte werden sie auch nach der Haftentlassung nicht ablegen.

Da schließt sich dann der Kreis, warum die Sicherheit der Gefängnisse nach innen auch eine Frage der Sicherheit nach außen - also unser aller Angelegenheit - ist. Nicht resozialisierte, zusätzlich verrohte Straftäter können nach ihrer Haftentlassung auch dem Bürger über den Weg laufen, der gegenüber den beschriebenen Problemen gleichgültig ist. Spätestens dann ist es aber sehr wohl auch sein Problem.