„Rationierung ist alltäglich“
Ärzte klagen, dass die Politik sie mit dem Kostendruck alleine lässt. Dies belaste das Verhältnis zum Patienten.
Berlin/Düsseldorf. Es ist ein heißes Eisen, das die Ärzte ab heute auf dem Deutschen Ärztetag in Ulm anfassen wollen. Sie sehen sich von der Politik mit dem Problem alleine gelassen, dass sie den steigenden Kostendruck im Gesundheitswesen an ihre Patienten weitergeben müssen - und dafür verantwortlich gemacht werden.
Der Konflikt zwischen ärztlicher Sorgfaltspflicht und dem Wirtschaftlichkeitsdruck belastet das Verhältnis zwischen Arzt und Patient mittlerweile in einem "unerträglichen Ausmaß", heißt es in einem Papier, das in Ulm verabschiedet werden soll. "Wir leben mehr oder weniger in einer Krankenkassen-Diktatur", klagt auch Ingo Winkelmann, Allgemeinmediziner aus Wülfrath (Kreis Mettmann).
Winkelmann berichtet, dass er pro Kassenpatient 25 bis 30 Euro bekomme. "Wenn ich nicht auch Privatpatienten hätte, könnte ich meinen Laden hier schließen", sagt er. Die von der Bundesärztekammer beschriebene Rationierung bei der medizinischen Versorgung sei bei Fachärzten heute schon "Alltag".
Das bestätigt der Wuppertaler Dermatologe Thomas Dirschka. Wegen der Budgetierung im Gesundheitswesen könnten Patienten ausschließlich kostengünstig, aber nicht mehr sachgerecht versorgt werden. "Der Arzt ist damit in der Verantwortung, dem Patienten zu erklären, warum bestimmte Therapien nicht möglich sind."
Knut Krausbauer, Hausarzt und Vorsitzender der Ärztekammer Krefeld, berichtet, dass jede Praxis 30 Prozent der Leistungen nicht bezahlt bekomme. "Wir machen die Arbeit trotzdem, weil wir uns für die Patienten verantwortlich fühlen." Der Solinger Chirurg Heinrich Apfelstedt warnt vor Konsequenzen, wenn nicht mehr Geld ins System fließe. "Natürlich wird deswegen kein Notfallpatient weggeschickt. Aber dass Kassenpatienten eine insgesamt schlechtere Gesundheitsversorgung als Privatversicherte erwartet - das glaube ich schon."
Die Bundesärztekammer fordert nun, dass öffentlich über die Rationierung diskutiert wird. Das unterstützt Dirschka: Die Politik müsse Mut zeigen. Bestimmte Leistungen würden dann aus dem Katalog gestrichen - zu Lasten der Patienten und zu Gunsten der Solidargemeinschaft.
Der Präsident des Allgemeinen Patienten-Verbandes, Christian Zimmermann, fordert dagegen Einsparungen im System. Jährlich würden rund 70 Milliarden Euro und damit mehr als ein Fünftel der Gesamtausgaben im Gesundheitssystem verschwendet - unter anderem durch Pfusch, Korruption und unnötige Doppeluntersuchungen. So werde in Deutschland doppelt so häufig geröntgt wie in Schweden. "Wenn wir dieses Geld zur Verfügung hätten, dann könnte jeder Patient optimal versorgt werden", sagt Zimmermann.
Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen berichtet von "Unter-, Über- und Fehlversorgungen" im Gesundheitswesen. Die Forderung von Hoppe, öffentlich zu diskutieren, was noch bezahlbar sei und was nicht, hält Susanne Mauersberg, Referentin bei dem Verband, aber für richtig. Nur so könne bei den Bürgern die Bereitschaft erzeugt werden, zu Gunsten der Solidargemeinschaft zu verzichten.