Regierung tritt zurück: Belgien droht Chaos
Analyse: Premier Yves Leterme wirft nach nur 161 Tagen das Handtuch. Die wichtige Staatsreform ist damit gescheitert.
Brüssel. Am kommenden Montag begeht Belgien seinen Nationalfeiertag - zur Erinnerung an König Leopold I., der vor 177 Jahren den Eid auf die Verfassung des neuen Staates ablegte. Doch zum Feiern ist dem Zehn-Millionen-Volk nicht zu Mute. Das kleine Königreich steht wieder einmal am Abgrund. Ministerpräsident Yves Leterme (47), einer der glücklosesten Politiker in der Geschichte des Landes, hat König Albert II. den Rücktritt angeboten. Dem Königreich droht ein Monate langes Chaos.
Den 15. Juli hatte sich die Regierung Leterme als Ziel gesetzt. Bis dahin wollte die Fünf-Parteien-Koalition endlich die Staatsreform unter Dach und Fach gebracht und eine Lösung für den umstrittenen Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde gefunden haben. Doch nun ist der Regierungstanker auf Grund gelaufen.
Auch die drängendste Frage, ob der König das Rücktrittsgesuch überhaupt annimmt, blieb vorerst unbeantwortet. Gut möglich, dass der König ein weiteres Mal Letermes Kopf aus der Schlinge zieht. Was er seit dem 10. Juni 2007, dem Tag seines rauschenden Wahlsieges, bereits mehrere Male getan hat. Schon die Regierungsbildung geriet zu einer Zitterpartie, die das Land gefährlich nahe an den Abgrund brachte. Erst zu Ostern konnte Leterme auf dem Chefsessel im Kabinett Platz nehmen.
Wer trägt nun die Schuld an der neuen Staatskrise? Wie immer beschuldigen sich Flamen und Wallonen gegenseitig, andere machen Leterme verantwortlich. "In Wirklichkeit sind alle schuldig", sagt Carl Devos, Politikwissenschaftler an der Uni Gent. Die Flamen mit Leterme an der Spitze hätten den großen Fehler begangen, den Wählern im letzten Jahr die radikale Staatsreform zu versprechen, die den Einfluss der Regionen erheblich stärken sollte.
Die reicheren, niederländischsprachigen Flamen, dringen darauf, die Verteilung der Steuereinnahmen selbst zu regeln. Für die frankophonen Wallonen, die durch die Strukturkrise von Kohle und Stahl ziemlich "verarmt" sind, ein Affront. Sie fürchten, dass die Flamen dann die Zahlung von sieben Milliarden Euro im Finanzausgleich einstellen. Den Wallonen wiederum kreidet der Politologe deren Sturheit an.
Sind Neuwahlen der beste Weg aus der Krise? Carl Devos ist äußerst skeptisch. "Sollte sich dann das Ergebnis der letzten Wahl wiederholen, wird alles nur noch komplizierter." Pessimisten spekulieren unterdessen wieder über die Unabhängigkeit Flanderns und das Ende Belgiens.