Schäubles Unverträglichkeit
Die gesundheitlichen Probleme des Finanzministers wecken Zweifel an seiner Amtsfähigkeit. Die Rettung des Euro wäre die Krönung seiner politischen Karriere.
Berlin. Wolfgang Schäuble hatte diese bohrenden Fragen verhindern wollen - die nach seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit. Deshalb präsentierte er sich seit seiner Rückkehr vom Krankenbett Ende April verstärkt der Presse, trat immer wieder im Fernsehen zu Interviews auf.
Nun hat er erneut einen öffentlichen Termin platzen lassen müssen: Am Sonntag konnte der Bundesfinanzminister nicht an der entscheidenden EU-Ministerratssitzung in Brüssel teilnehmen, auf der die Stützungsmaßnahmen für den Euro beschlossen wurden.
Ist der 67-Jährige unter diesen Umständen fähig, den neben dem Kanzleramt härtesten Job im Kabinett wahrzunehmen? Seit Wochen hatten selbst Unionspolitiker das Gerücht gestreut, Schäuble werde nach der NRW-Wahl als Finanzminister abgelöst. Als mögliche Nachfolger wurden der hessische Ministerpräsident Roland Koch und Bundesinnenminister Thomas de Maizière genannt. Letzterer musste bereits für ihn am Sonntag in Brüssel einspringen, während Schäuble wegen einer angeblichen Medikamentenunverträglichkeit erneut in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.
Die Kanzlerin versucht, weitere Spekulationen zu unterbinden. Nach der gestrigen CDU-Vorstandssitzung schloss Angela Merkel eine Kabinettsumbildung aus. Ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte auf Nachfrage: "Ich sehe keinen Anhaltspunkt für Zweifel", dass er wegen seiner gesundheitlichen Verfassung den Aufgaben des Amtes gewachsen sei.
Mit Blick auf das gerade geschnürte Rettungspaket für den Euro sagte Wilhelm, Schäuble habe "die Dinge mit persönlicher Energie vorangetrieben". In der Unions-Bundestagsfraktion hieß es, ob Schäuble im Ministeramt weitermachen werde, hänge von ihm selbst ab.
Wer den Finanzminister in den vergangenen Wochen erlebte, schildert einen Politiker, der geistig fit wirkt und die schwierige persönliche Situation auch mit Ironie zu bewältigen versucht.
Schäubles Ernennung zum obersten Kassenwart der Nation war im vergangenen Herbst als Signal gewertet worden, dass Merkel in der schwarz-gelben Koalition dem Konsolidierungskurs den Vorrang vor Steuersenkungen einräumen wollte. Schäuble als stärkste Waffe gegen das Ansinnen der FDP, den Mittelstand steuerlich zu entlasten.
So ließ der Finanzminister in den vergangenen Monaten auch keine Gelegenheit aus, auf den Koalitionsvertrag und den darin enthaltenen Finanzierungsvorbehalt zu verweisen. Zuletzt ließ er wissen: "Ich glaube nicht, dass wir mit dem Spielraum, den wir in dieser Legislaturperiode haben, eine grundlegende Einkommensteuerreform hinbekommen."
Am Montag schloss sich nun auch Merkel dieser Einschätzung an. So klar hatte sich die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende bisher noch nicht positioniert. Der Protestant Schäuble, der als Sohn eines Steuerberaters mit zwei Brüdern im Schwarzwald aufwuchs, ist Pflichtmensch und ein von Politik Besessener. Gerade diese Kombination lässt nicht wenige in seiner Umgebung fürchten, dass er sich mit dem Ministeramt in dieser historisch brisanten Lage, in der die Finanzmärkte verrückt spielen und der Euro-Raum auseinanderbrechen könnte, zu viel zumutet. Er verließ gegen den Rat seiner Ärzte nach einem operativen Routineeingriff zu früh das Krankenbett, in das er dann länger als gehofft gezwungen war.
Sein Wunsch ist dennoch verständlich: nach der Wiedervereinigung und der Euro-Einführung wäre die Rettung der Gemeinschaftswährung die dritte historische Aufgabe, an der Wolfgang Schäuble maßgeblich beteiligt wäre. Es wäre der Schlusspunkt einer politischen Karriere mit beispiellosen Höhen - und Tiefen. Schäuble kann ein Lied davon singen.