Sollen Bürger zum Wählen gezwungen werden?
Debatte: 50 Euro Strafe für jeden in Deutschland, der nicht zur Wahl geht - Diese Idee provoziert Widerspruch.
Berlin/Düsseldorf. Nach der erneut niedrigen Beteiligung bei der Europawahl werden in Deutschland Forderungen nach der Einführung einer Wahlpflicht laut. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen sprach sich gestern dafür aus, Nichtwähler künftig mit einer Strafe von 50 Euro zu belegen. Sein Argument: "Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen - das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen." Und: "Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht."
Widerspruch kam prompt vom politischen Gegner - und von Politologen. Der Düsseldorfer Politik-Professor Ulrich von Alemann sagte unserer Zeitung: "Demokratie ist eine freiwillige Mitwirkung der Bürger am Gemeinwesen. Zwangsmitwirkung ist dem wesensfremd." Von Alemann erinnerte an die "Quasi-Wahlpflicht" in der DDR.
Auch Parteienforscher Jürgen Falter meldete Bedenken an: Man treibe Menschen zu den Wahlurnen, die das gar nicht wollten. "Und die entscheiden dann über das Ergebnis der Wahl", sagte er dem Bayerischen Rundfunk.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich derweil für eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten durch die Bürger aus. "Wenn es im Wahlkampf um einen Kopf an der Spitze Europas geht, schafft das eine klar zugespitzte Aufmerksamkeit quer durch ganz Europa", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Der CDU-Innenexperte und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach lehnt sowohl den Wahlpflicht-Vorschlag als auch den Schäuble-Vorstoß ab. Die Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten provoziere die Frage, warum dann nicht auch der Bundeskanzler direkt gewählt werde. Der Vorstoß Schäubles sei "nicht schlüssig", so Bosbach.