Wählt der Iran den Weg aus der Isolation?

Teheran: Den nächsten Präsidenten könnte die junge Generation bestimmen. Und der hieße dann nicht mehr Ahmadinedschad.

Teheran. Teheran ist im Wahlkampffieber. Als in der vorigen Woche der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad und sein Herausforderer Mir Hussein Mussawi in einem anderthalbstündigen TV-Duell die Klingen kreuzten, waren die Straßen leergefegt wie sonst nur bei Fußball-Länderspielen. Und das, was das iranische Volk da geboten bekam, war ein Schlagabtausch, wie ihn die islamische Republik noch nie gesehen hatte.

Ahmadinedschad habe "Schande" über den Iran gebracht, eröffnete Mussawi das Duell. "Mit Ihrer Außenpolitik haben Sie die Würde der iranischen Nation beschädigt!" Auch Ahmadinedschads törichte Relativierung des Holocaust griff der Herausforderer an. Sehe er denn nicht, dass solches Gerede die Position Israels bei der Unterdrückung der Palästinenser stärke? Für die israelische Regierung sei die Politik Ahmadinedschads geradezu ein "Segen", rechtfertige sie damit doch die Angriffsdrohungen gegen Iran, so der 67-jährige Mussawi.

Ahmadinedschad geriet in die Defensive, punktete dann aber ausgerechnet mit Barack Obama. Geschickt vereinnahmte er die Kursänderung der US-Außenpolitik als Verdienst seiner Standhaftigkeit. Wie gefährdet er aber tatsächlich seine Position sah, machte dann der Versuch deutlich, Mussawi in die Nähe des unpopulären und als kurrupt angesehen Rafsandschani zu rücken.

Gegen ihn trete nicht der Kandidat Mussawi an, sondern "eine ganze Gruppe, deren Hauptstütze Herr Rafsandschani ist", erklärte der Präsident. Und musste sich wenige Tage später, auch das ein unerhörter Vorgang, von der höchsten Geistlichkeit den Vorwurf gefallen lassen, er habe mit seinen Anspielungen auf Rafsandschanis Korruptheit gegen die "guten Sitten" verstoßen. Auch das ein Signal: Selbst Revolutionsführer Chamenei steht nicht mehr rückhaltlos hinter Ahmadinedschad.

Der Ausgang der Präsidentenwahl am Freitag scheint völlig offen. Das war schon in der Vergangenheit so: 2005 glaubte niemand, dass der damals relativ unbekannte Bürgermeister von Teheran sich gegen den mächtigen Rafsandschani durchsetzen könnte. Doch Ahmadinedschad, in der Rolle des Robin Hood für den "kleinen Mann", gewann die Stichwahl klar. Noch nie hat zwar ein amtierender Präsident im Iran seine Wiederwahl in den Sand gesetzt. Doch auch das könnte diesmal anders sein.

Der Herausforderer Mussawi, der jetzt Tausende vor allem jüngere Iraner in die Stadien lockt, nennt sich selbst einen "prinzipientreuen Reformer". Als der irakische Diktator Saddam Hussein 1980 mit US-Unterstützung den Iran überfiel, war Mussawi Ministerpräsident. Während des fast zehnjährigen Krieges gelang es ihm, die Wirtschaft stabil zu halten. Das gibt ihm bei vielen älteren Iranern einen Vertrauensvorschuss. Zugleich hat Mussawi die Unterstützung fast aller Gruppen des Reformlagers.

"Erste Aufgabe der neuen Regierung ist die Rückkehr zur Vernunft," verspricht Mussawi. Natürlich besteht auch er auf dem im Sperrvertrag verbürgten Recht des Iran auf ein Atomprogramm, will aber "glaubwürdige Garantien" für dessen friedlichen Charakter geben. Dazu werde er auch mit den USA reden: "Ja, warum denn nicht?" Und er will die von Ahmadinedschad eingeführte Sittenpolizei abschaffen.

Mussawi begeistert damit die junge städtische Mittelschicht, vor allem auch die vielen gut ausgebildeten Frauen. Dabei hat der grauhaarige ältere Mann eher den etwas spröden Charme eines soliden Buchhalters. Das Geheimnis seines Erfolgs lüftet die Frau an seiner Seite, mit der Mussawi händchenhaltend jeden Wahlkampfauftritt inszeniert: Sahra Rahnavard ist die erste Frau, die ihren Mann im Wahlkampf ständig begleitet.

Und sie findet schärfere Worte als ihr Mann. "Warum werden Studenten inhaftiert, wenn sie ihre Meinung sagen?" ruft sie in die Menge. Und: "Ich bin absolut verärgert über die Stellung der Frau hier im Iran." Das begeistert die jungen Frauen in den Städten, nicht nur in Teheran. Und es könnte auch die Wahl am Freitag entscheiden.

48 Millionen Iraner sind zur Wahl aufgerufen, wahlberechtigt ist, wer das 15. Lebensjahr vollendet hat. Die Hälfte der Wähler sind unter 30 Jahre alt. Viele von ihnen sind gebildet, haben ein Hochschulstudium, sind städtisch geprägt und weltoffen. Und finden allzu häufig nicht die Arbeitsplätze, die ihrer Qualifikation entsprechen, weil die Sanktionen die Entwicklung des Landes behindern. Wer es schafft, diese oft vom Regime desillusionierten Wähler an die Urne zu bringen, kann die Wahl gewinnen. Mussawi scheint dabei auf gutem Wege.

Beobachter sind sich einig, dass im ersten Wahlgang keiner der Bewerber die absolute Mehrheit holen wird. Nach einer eher zufälligen und nicht repräsentativen Umfrage eines westlichen Instituts führte etwa zwei Wochen vor der Wahl Ahmadinedschad mit 34Prozent vor Mussawi, der auf knapp 15 Prozent kam. Allerdings erklärten danach mehr als 27 Prozent, sie hätten sich noch nicht entschieden.

Mit dem liberalen Ex-Parlamentspräsidenten Mehdi Karrubi und dem Erz-Konservativen Mohsen Rezaie, einem ehemaligen Revolutionsgarden-Führer, wildern zudem zwei weitere Kandidaten jeweils im Reservoir der beiden Favoriten. Doch auch die jüngsten Wahlen endeten mit einer Überraschung. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte. Ein Präsident Mussawi wäre jedenfalls keine schlechte Überraschung - für Iran und die Welt.