Spannungen nach Merkels Irrtum
Hartz IV: Die Kanzlerin hat behauptet, Bezieher von Arbeitslosengeld II bekämen Stromkosten voll ersetzt. Doch das ist schlicht falsch.
Berlin. In der Debatte über Energie-Sozialtarife für Geringverdiener hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für Verwirrung gesorgt. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg musste am Montag in der Bundespressekonferenz einräumen, dass die Kanzlerin in einem Interview nicht differenziert genug dargestellt habe, dass Arbeitslosengeld-II-Empfänger steigende Stromkosten aus eigener Tasche zahlen müssen. Es habe sich in Merkels Äußerungen eine "gewisse Unschärfe" eingeschlichen, sagte er.
Was war passiert? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte sich zu möglichen Sozialtarifen als Reaktion auf die steigenden Energiekosten geäußert: "Jetzt denken SPD wie CDU/CSU über gezielte Instrumente nach, theoretisch könnten das zum Beispiel Heizkostenzuschüsse sein."
Die Kanzlerin jedoch lehnte die Idee umgehend ab: "Im Arbeitslosengeld II haben wir die sogenannte Erstattung der Kosten der Unterkunft, wonach alle Heizkosten und Stromrechnungen voll ersetzt werden", sagte sie. Nur: Das stimmt so nicht.
Hartz-IV-Empfänger erhalten über die Kosten der Unterkunft Miete und Heizung erstattet - die Ausgaben für Strom und Warmwasser müssen sie aber aus dem Regelsatz von 351 Euro im Monat selbst aufbringen. Bei steigenden Stromkosten bleibt also weniger Geld für andere Ausgaben des täglichen Lebens. Merkel-Sprecher Steg betonte, die Bundeskanzlerin habe dies "nicht bewusst" verdreht.
Die "unbewusste Verdrehung" sorgte allerdings für jede Menge Ärger - und bei betroffenen Hartz-IV-Empfängern sogar für Empörung. Viele sprachen von einer "Lüge" oder von "purer Unwissenheit".
Im Hartz-IV-Regelsatz seien rund 27 Euro pro Monat für Strom, Warmwasser und für die Instandhaltung der Wohnung berücksichtigt. Steigen die Energiekosten, bleibe entsprechend weniger Geld für Lebensmittel übrig, beschwerte sich ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher bitter in einem Leserbrief.
Das Erwerbslosen-Forum Deutschland versuchte sogar, von dem Versprecher zu profitieren. Das Forum ermunterte Bezieher von Arbeitslosengeld II, die volle Übernahme der Stromkosten zu beantragen und sich dabei auf die Kanzlerin zu berufen.
Zugleich kritisierte die Interessenvertretung Merkels Äußerungen: "Wir wissen nicht, ob es ihre völlige Unkenntnis über die Zusammensetzung des Hartz-IV-Satzes ist oder ob sie bewusst ein falsches Bild vorgaukelt."
Einige Energieunternehmen wie Eon gewähren einkommensschwachen Menschen bereits verbilligte Stromtarife. Wie der Konzern mitteilte, nutzen 20.000 Menschen einen Sozialtarif.