Wall Street: „Börsen-Massaker“ erschüttert USA

Die Finanz- und Börsenkreise sind entsetzt über das Scheitern des Nothilfeplans. Nur Barack Obama kann profitieren.

Washington. Die Börse in freiem Fall, der Kongress im Chaos, das Weiße Haus ratlos: Amerika droht nach dem vorläufigen Scheitern des Rettungspakets für den schwer angeschlagenen Finanzsektor die schwerste Wirtschaftskrise seit der ökonomischen Katastrophe von 1929.

"Wenn der Kongress uns nicht hilft, dann gnade uns Gott", hatte der Multimilliardär Warren Buffett dem Wirtschaftssender vergangene Woche gesagt. Der Kongress hat nicht geholfen.

Fünf Wochen vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen scheint die Supermacht in die "sichere Rezession" zu taumeln, kommentierte das konservative Wall Street Journal bitter. Die "Deppen vom Kongress" produzierten ein "Massaker an der Börse", schrieb die Daily News böse.

In Washington überschütteten sich die Politiker nach dem Debakel bei der Abstimmung über den 700-Milliarden-Dollar- Plan mit gegenseitigen Schuldzuweisungen - aber fast alle mussten sich als Verlierer fühlen.

US-Präsident George W. Bush und sein Finanzminister Henry Paulson konnten den Kongress nicht einmal mit dramatischen Gesten und Worten zur Verabschiedung des Gesetzes drängen - Paulson soll gar einen "Kniefall" vor der demokratischen Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi angedeutet haben, um sie zur Kooperation zu bewegen.

Bush habe beim Krisengipfel mit deftigen Worten gewarnt, dass der "ganze Scheiß" Amerika um die Ohren fliegen könne, wenn nicht rasch gehandelt werde. Gestern drängte Bush fast schon verzweifelt zum x-ten Mal den Kongress, etwas zu unternehmen, bevor die US-Wirtschaft "schweren Schaden" nimmt.

Auch die Führungen der Demokraten und Republikaner stehen belämmert da: Ihre Fraktionen stimmten nicht wie vereinbart mehrheitlich für den Plan. Vor allem die marktgläubigen Konservativen fürchteten die Abstrafung durch ihre Wähler, wenn mit Steuergeldern die gescheiterten Manager von der Wall Street gepäppelt würden.

Viele Abgeordnete erhielten auch tausende Protest-E-Mails aus ihren Wahlkreisen, in denen laut "USA Today" zu neunzig Prozent gegen die teuren Regierungspläne gewettert wurde. Zudem waren Republikaner zornig über Pelosis harte Worte kurz vor der Abstimmung, als sie die "rechte Ideologie" der Bush-Regierung und deren Widerstand gegen Kontrollen und Regulierungen für das Finanzdesaster verantwortlich machte.

Während die USA immer tiefer in die Krise taumeln, verabschiedeten sich dann noch die Abgeordneten wegen des jüdischen Neujahrs in einen Kurzurlaub. Die Amerikaner fühlten sich in ihrer Verachtung gegenüber dem Parlament bestätigt, nur noch zehn Prozent bescheinigen bei Umfragen dem Kongress eine gute Arbeit.

Eine politische Klasse mit höherem Ansehen "hätte es vielleicht irgendwie geschafft, eine Koalition der Willigen zu schmieden. Aber das Misstrauen der nationalen Führer machte diese Möglichkeit unmöglich", analysierte die Washington Post.

Auch der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain musste sich düpiert fühlen, war er doch in vermeintlich staatsmännischer Pose nach Washington geeilt, um eine Einigung im Kongress voranzutreiben.

Erst Stunden nach der für ihn blamablen Abstimmung fand er sich zu einer Stellungnahme bereit und beschuldigte seinen Konkurrenten Barack Obama "und seine Verbündeten im Kongress, mit unnötiger Parteilichkeit" den zuvor erzielten Kompromiss infrage gestellt zu haben. "Unsere Führer haben versagt", sagte er sichtlich aufgebracht.

Obama scheint vor den Wirren in Washington als einziger profitieren zu können. Zwar warnt auch er vor "katastrophalen Folgen", falls der Staat der Finanzwelt nicht helfe. "Demokraten, Republikaner, macht euch daran, löst es", verlangte er. Aber die Ereignisse der vergangenen Wochen scheinen seine Warnungen vor dem bedingungslosen Vertrauen in den Markt und den Politik-Machenschaften in Washington zu bestätigen.