Mehr Lachs im Land - Angler kämpfen für Rückkehr des Fisches
Gronau (dpa) - Früher war die Leine einer der lachsreichsten Flüsse Deutschlands. Seit rund einem Jahrhundert ist der Fisch ausgestorben. Angler mühen sich in ehrgeizigen Projekten um eine Wiederkehr.
Die Hoffnungsträger schwimmen versteckt am Ende einer Mehrzweckhalle, abgeschirmt von mobilen Stellwänden. Belüftungsanlagen lassen Wasserbecken leise glucksen. In der Halle auf der Leine-Insel in Gronau bei Hildesheim schwimmen Lachse, die in dem Fluss längst ausgerottet sind. Ein ehrgeiziges Projekt will den Fisch, der größer als einen Meter werden kann, in der Leine wieder heimisch machen. Bundesweit mühen sich Angler bei ähnlichen Versuchen.
Früher war der Lachs ein Arme-Leute-Essen. In der Leine kam der majestätische Wanderfisch noch im 19. Jahrhundert derart häufig vor, dass sich die Tagelöhner bei den Adeligen beschwerten, wenn sie öfter als dreimal pro Woche mit Lachs abgespeist werden sollten. Heute kennen die Deutschen den Fisch meist nur noch aus dem Restaurant oder Supermarkt. Das Tier wird herangekarrt - oft aus Aquakulturen fern der einstigen Heimat.
Seit 2000 hat es sich der Verein Leine-Lachs in Gronau zum Ziel gesetzt, den Lachs in der Leine wieder anzusiedeln. Es ist eines aus einer wachsenden Zahl ähnlicher Projekte von Angelvereinen. „Bis etwa zur Jahrhundertwende um 1900 war die Leine einer der lachsreichsten Flüsse Deutschlands“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Günter Ohnesorge.
Noch steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg: Nur wenige Lachse schafften es bisher über Aller und Weser ins Meer und dann zum Laichen auch wieder flussauf, über viele Hindernisse - wie etwa Wehre - hinweg. Gut 20 000 Euro kostet der Besatz jedes Jahr, fast eine Million kleine Zuchtlachse setzten die Angler schon in die Leine - im Wert von fast 300 000 Euro.
Ein weiteres Beispiel gibt der Angelverein (ASV) Neustadt am Rübenberge aus der Region Hannover, der seit 1995 dem Fisch auf die Sprünge zu helfen versucht. 350 000 kleine Lachse habe der Verein in die Leine und ihre Nebenbäche gesetzt, berichtet der ASV-Vorsitzende Holger Machulla. Der größte der bisher zehn Heimkehrer im ASV-Gebiet habe stolze 87 Zentimeter gemessen.
Der Schwund ist auch hier enorm. Groß sind die Gefahren bei der Wanderung - allein in der Leine versperren dem Lachs zehn Wasserkraftanlagen den Weg. Aufstiegshilfen seien zwar ein guter Weg, blieben aber eine Notlösung, sagt Thomas Klefoth, Fischereiwissenschaftler im Landessportfischerverband Niedersachsen. „Ein Fisch muss in der Leine zehnmal das Mysterium lösen, eine kleine Fischtreppe zu finden und zu passieren - und jedes Mal bleiben welche auf der Strecke.“
Hinzu kommen Räuber wie Hecht und Kormoran. „Man sagt, ein bis zwei Prozent kommen bei den Brütlingen durch. Bei den zweijährigen Fischen sind es acht bis zehn Prozent“, erklärt Ohnesorge. Ältere Tiere auszusetzen, wäre eine teure Alternative: „Ein einjähriger Lachs kostet 60 bis 80 Cent. Ein Lachsei dagegen nur 0,03 Cent.“ Zudem finden sich jung ausgesetzte Tiere später besser in der Natur zurecht.
Manchmal hilft Mutter Natur: Hochwasser führt die Fische an den Bauwerken vorbei. Dennoch liegt eine Population, die sich eigenständig reproduziert, in weiter Ferne. „Ich gehe davon aus, dass wir noch acht bis zehn Jahre weitermachen müssen“, schätzt Ohnesorge. Immerhin hat die Initiative mit ihren 41 Angelvereinen und deren 18 000 Mitgliedern dazu beigetragen, dass in Freden südlich von Alfeld bald auch das zehnte Hindernis eine Querungshilfe bekommt.
„Generell kann man sagen, dass es erfolgreiche Projekte gibt, aber vor allem bei der Meerforelle“, berichtet Lutz Meyer, Fischereirat in der zuständigen Behörde Laves. Mitte der 1980er Jahre seien erste Projekte für Lachs und Meerforelle angelaufen. Am größten sei der Erfolg rund um die Elbe und ihre Nebenflüsse. „Da hat sich mittlerweile überall ein relativ großer Meerforellenbestand aufgebaut, der sich zum Teil auch selbst schon reproduziert.“
Weiter im Westen rund um die Ems dagegen sei der Erfolg klein. „Die untere Ems ist gerade im Sommer wegen der Sauerstoffproblematik sehr schlecht passierbar für Wanderfische“, sagt Meyer. Naturschützer beklagen das Problem seit Jahren und sehen in der Papenburger Meyer Werft den Hauptverantwortlichen. Für deren Schiffe wird der Fluss mit Baggern auf Tiefe gehalten. Kritiker sprechen von sauerstoffarmen Todeszonen in der Ems, in denen praktisch keine Fische mehr leben - anspruchsvolle Lachse schon gar nicht.
Ein weiterer Grund für die schwierige Situation beim Lachs sei, dass die Meerforelle diesen „überlaiche“: Sie störe mit ihrem späteren Laichgeschäft das Gedeihen der Lachsbrut, erklärt Meyer. Zudem steige der Lachs grundsätzlich bis in die Mittelgebirgsregionen auf - kämpfe also mit mehr Hindernissen.
Ein bundesweiter Überblick zu Lachsprojekten fehlt. Die Wiederansiedlung des Fisches habe für viele Angelvereine einen hohen Stellenwert, sagt Professor Robert Arlinghaus vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Die Motivation liegt seiner Ansicht nach auch in der politischen Außenwirkung. „Lachse sind Flaggschiffarten“, sagt Arlinghaus, „und ein Einsatz der Angler zur Rettung ausgestorbener, überregional bekannter Fischarten ist dann natürlich auch politisch opportun“.
Ohne geeignete Lebensraumbedingungen habe es jeder noch so mühevoll gepflegte Besatz schwer. „Und hier gibt es in vielen ehemaligen Lachsbächen enormen Nachholbedarf, den die Angler aber unmöglich alleine leisten können“, sagt der Berliner Wissenschaftler. Das Projekt Leine-Lachs zählte bisher 19 Rückkehrer, gefunden etwa in Überwachungskästen an den Aufstiegshilfen. „Man geht davon aus, dass wir mit den Bestandskontrollen rund zehn Prozent fangen“, sagt Ohnesorge. Das macht rein rechnerisch knapp 200 Lachse, die es seit dem Jahr 2000 schafften. Professor Arlinghaus ist dennoch überzeugt: „Angler sind die wichtigsten Artenschützer unter Wasser.“