Das Königreich der verschollenen Bundeslade
Axum (dpa/tmn) - Die Zeit scheint stillzustehen. Bauern bestellen mit Ochsenkarren ihre Felder. Dutzende Gläubige pilgern in weißen Gewändern an Kamelen vorbei in eine orthodoxe Kirche. Als am Ende einer langen mit Kopfsteinstraße zwei riesige Stelen am Horizont auftauchen, ist der Zeitsprung perfekt.
Die heute eher unscheinbare Stadt im Hochland im Norden Äthiopiens hat eine bedeutende Vergangenheit, ihr Name weckt bei Archäologen und Weltreisenden Fantasien von religiösen Mysterien: Axum. Hier soll der Legende nach einer der größten Schätze der Menschheit aufbewahrt werden: die Bundeslade mit den Zehn Geboten.
Menelik, der Sohn der Königin von Saba und des Königs Salomon, soll die wertvolle Truhe einst aus Jerusalem mitgebracht haben. „Gott hat diesen Ort auserwählt. Axum ist eine heilige Stadt“, erklärt denn auch der örtliche Diakon Zemikael Brhane. Bewacht wird die Bundeslade von einem Mönch, der sich ihrem Schutz auf Lebenszeit widmet. Derzeit heißt er Abba Gebre Meskel, ist 56 Jahre alt und lebt seit 30 Jahren auf dem Gelände der kleinen Kapelle, in der die Lade angeblich liegt.
„Manche Touristen warten stundenlang, nur um einen Blick auf ihn zu erhaschen“, sagt der Geschichtsexperte und Reiseführer Ephrem Brhane. Weil die Kapelle nicht betreten werden darf, kann niemand die angebliche Bundeslade selbst sehen - sie ist ohnehin stets mit einem Tuch abgedeckt.
Aber eigentlich begann alles mit Makeda, der sagenumwobenen Königin von Saba. Sie wird im alten Testament erwähnt, soll wunderschön und sehr reich gewesen sein. Zehn Autominuten außerhalb der Stadt liegt Experten zufolge ihr Palast - oder was davon übrig ist. Gut ist noch der Grundriss zu erkennen. „Es wurden Münzen mit dem Bild der Königin und Tonwaren gefunden, die darauf hindeuten, dass die Königin wirklich hier gelebt hat“, sagt Brhane.
Höhepunkt eines Trips nach Axum ist das Stelenfeld in der Stadt, wo wichtige Persönlichkeiten des Reiches begraben liegen. Bis heute weiß niemand, wie die gigantischen Obelisken dorthin gebracht und aufgestellt wurden. Die größte Stele, die 33,5 Meter hoch war und 520 Tonnen wog, ist schon vor langer Zeit umgestürzt. Die zweitgrößte hat eine bewegtere Geschichte: Sie war 1937 unter italienischer Besatzung im Auftrag von Benito Mussolini mit einem Schiff nach Rom gebracht worden. Es scherte den Diktator nicht, dass die mit Hieroglyphen bedeckte Säule als Nationalsymbol Äthiopiens gilt - 65 Jahre zierte sie einen Platz im Zentrum Roms in der Nähe des Zirkus Maximus.
Erst 2005 wurde sie in russischen Antonov-Maschinen - zerlegt in drei massive Blöcke - zurück nach Axum gebracht. Die 30 Meter hohe Stele wieder an ihrem Originalstandort zu sehen, erfüllt die Äthiopier mit Stolz. Sie ist ein unauslöschliches Zeichen für die großartige Historie des später durch so viele Dürren und Konflikte gebeutelten Landes am Horn von Afrika.