Grüne Schluchten und blaue Haie

Die portugiesischen Inseln im Nordatlantik sind nicht nur ein Wanderparadies, sondern locken mit einem Adrenalinkick.

Der Blick in die Tiefe ist schon ein wenig unheimlich. Die Taucher halten sich wenige Seemeilen vor der Küste der Azoreninsel Faial an zwei mit dem Schlauchboot verbundenen Ketten in zehn Metern Tiefe fest und schauen gespannt ins unendliche Blau des Atlantischen Ozeans. Ein Gefühl, als schwebe man wie ein Astronaut im Nichts. Plötzlich unterbrechen schwarze Schatten, die sich in Formation von unten annähern, die Einsamkeit in der Weite des Meeres. Fünf Blauhaie tauchen langsam aus der Tiefe auf und nähern sich. Der Traum eines jeden Tauchers geht in Erfüllung. Die Azoren sind einer der wenigen Plätze auf der Welt, an denen es überhaupt möglich ist, mit einem der schnellsten Raubfische der Ozeane zu tauchen. Auch Hammerhaie und Makohaie trifft man dort gelegentlich an.

Grüne Schluchten und blaue Haie
Foto: Manuel Meyer/dpa

Während die Gewässer vor der Nachbarinsel Santa Maria vor allem für Walhai-Begegnungen bekannt sind, gibt es am Unterwasserberg Condor vor Faial fast eine Garantie, mit den seltenen Blauhaien zusammenzutreffen. Damit es zu dieser unvergesslichen Begegnung kommt, braucht es allerdings einen Trick. Norberto Serpa, Portugals Tauchlegende, hat neben Fischblut und kleineren Fischresten auch riesige Thunfischköpfe in die Köderbox geworfen, deren Geruch die Haie anlockt.

Anmutig umkreisen die imposanten Raubfische die Taucher mit der Köderbox in der Mitte. Sie kommen immer näher — zu nahe! „Die Haie sind neugierig und werden versuchen herauszufinden, wer und was ihr seid. Ihr müsst ruhig und senkrecht im Wasser stehen und dem Hai immer in die Augen schauen“, hatte Tauchguide Norberto kurz vorm Abtauchen gesagt. Nicht so einfach, denn die Seile ziehen die Taucher beim starken Wellengang rauf und runter. So kommt also Norbertos zweiter Abwehrtipp zum Einsatz, zu neugierige Haie mit schnellen Handbewegungen zurückzuhalten. Der Adrenalinspiegel ist weit oben und bleibt dort, solange man den Haien aus nächster Nähe dabei zuschaut, wie sie versuchen, an die Thunfischköpfe zu kommen.

Nicht weniger spannend geht es an der Princess Alice Bank rund 45 Seemeilen vor der Küste Faials zu. Der Mond steht noch hoch am Nachthimmel, als Norberto das Boot aus dem Hafen von Horta in die Dunkelheit steuert. Die sternenklare Nacht ist bitterkalt. Nur die Pottwale, die beim Auftauchen gigantische Wasserfontänen ausstoßen, durchbrechen die Stille auf dem Nordatlantik. Zum Sonnenaufgang erreicht das Boot nach drei Stunden den Tiefseeberg.

Bei diesem Tauchgang wird spektakulär vor Augen geführt, warum die portugiesischen Azoren zwischen Europa und Nordamerika zu den besten Tauchgebieten Europas gehören. Schon vom Boot aus sind die grünlichen Silhouetten der gigantischen Mobula-Teufelsrochen auszumachen, die in Schwärmen von bis zu 15 Tieren ihre Runden ziehen. Riesige Barrakuda- und Makrelenschwärme mischen sich mit Atlantischen Bonitos und Zackenbarschen.

Obwohl auf allen Azoren-Inseln bis zu 90 interessante Tauchplätze existieren, zieht es Taucher vor allem nach Faial und auf die Nachbarinsel Pico. Dort gibt es direkt an der Küste von Lavaströmen geformten Steilwände, Tunnel, Grotten und Vulkankrater, in denen Tintenfische, Makrelen, Barrakudas und braune Zackenbarsche leben.

Lisa Steiner, Meeresbiologin

Die Hochseetauchplätze vor den beiden Inseln sind auf den Azoren aber mit Sicherheit der Höhepunkt für Taucher, immerhin kommt es dort zu den spektakulären Begegnungen mit den Großfischen. Direkt vor der Küste Faials und Picos tummeln sich bis zu 28 verschiedene Wal- und Delfinarten, erklärt die amerikanische Meeresbiologin Lisa Steiner.

Mit Ferngläsern auf den Steilklippen postierte Beobachter weisen die Whalewatching-Unternehmen auf den genauen Aufenthaltsort der Wale und Delfine hin, so dass es nicht lange dauert, bis die Riesen der Meere zu sehen sind.

Wegen des Golfstroms und des vulkanischen Ursprungs der Azoren finden Wale dort auf ihren langen Wanderungen zwischen der Dominikanischen Republik im Süden sowie Island und Grönland im Norden sehr nährstoffreiches Wasser, erklärt Meeresbiologin Steiner und versichert: „Die Azoren gehören zweifellos zu den besten Orten der Welt für Walbeobachtungen.“

Neben Blau- und Finnwalen, sowie den seltenen Entenwalen, können Besucher vor allem im Frühling täglich auch die bis zu 40 Tonnen schweren Pottwale sichten. Während die großen Säugetiere aus gewisser Entfernung beobachtet werden, dürfen die Gäste bei Delfin-Watching-Touren sogar mit Maske und Schnorchel ins Wasser springen, wenn die riesigen Schwärme mit bis zu 500 Tieren am Schlauchboot vorbeirasen. Ein unbeschreibliches Erlebnis, vor allem, wenn die neugierigen Jungtiere nah herankommen.

Doch wäre es fast kriminell, nur die Unterwasserwelt der Azoren zu genießen. Die meisten Touristen zieht es nach São Miguel und Santa María, die östlichsten der insgesamt neun Azoren-Inseln, mit ihren traumhaften Stränden und ihrem grünen Hinterland. São Jorge ist ein Wanderparadies, Graciosa, Faial und Pico locken mit gewaltigen Vulkankratern. Fast alle Inseln begeistern mit traumhaften Landschaften, die von imposanten Vulkanen bis hin zu dichten Atlantikwäldern reichen.

Auf Flores ist die Mischung aus Irland und Hawaii wohl am spektakulärsten. Vor allem beim Canyoning, dem Schluchtenwandern: Die Azoren sind noch wilder, ursprünglicher und abenteuerlicher als Madeira oder die Kanaren.

Die Auswahl an Kletterrouten ist enorm. Canyoning-Guide Marco Melo kennt an die 50 Strecken auf Flores. Er gehört zu den Pionieren seiner Branche, der viele Schluchten entdeckt und präpariert hat, in denen heute auch nicht geübte Gäste ins grüne, wilde Herz der Insel eintauchen können.