Hexenwahn und Adelsstolz - Lebendige Geschichte in Büdingen
Büdingen (dpa/tmn) - Zwischen der Wetterau und dem Vogelsberg in Hessen sind fast tausend Jahre Geschichte ohne Touristenrummel und museale Andacht zu erleben. Das Mittelalterstädtchen Büdingen lässt seine Gäste am Leben hinter historischen Mauern teilhaben.
Dass manche Mitglieder des Geschichtsvereins sich lieber mit dem Schwert messen als sich in der Muckibude fit zu halten, findet in Büdingen niemand ungewöhnlich. Genauso wenig stört sich jemand daran, dass die Schützengesellschaft den Fürsten jedes Jahr zu Pfingsten mit einem Zapfenstreich ehrt. So ist das eben in Büdingen.
Die Stadt liegt hinter einer wuchtigen Wehranlage und bildet mit der zum Wasserschloss ausgebauten staufischen Burg eine Einheit. Vieles ist aus früheren Jahrhunderten erhalten. „Wir liegen nicht an den großen Durchgangsstraßen, und im 2. Weltkrieg hatten wir Glück“, erklärt der Stadtarchivar Klaus-Peter Decker die Hauptgründe für die Unversehrtheit.
Zur winzigen Altstadt vor der Burg mit den stolzen Burgmannenhöfen gesellte sich im späten 14. Jahrhundert eine ebenso kleine Neustadt. Weil die Stadt nie zu großem Reichtum kam, baute man an Bestehendes an oder teilte die Häuser unter den Erben, so dass heute manchmal das Zimmer eines Hauses den Nachbarn gehört. So ähnlich hielt es auch das Geschlecht, aus dem die heutigen Zu Ysenburgs hervorgingen, mit dem Resultat, dass alle großen Baustile Europas an der dreizehnseitigen Residenz zu sehen sind.
Doch die Idylle trügt. Schlechte Ernten in der kleinen Eiszeit brachten Hunger und Not, die Pest und ein Großbrand wüteten, Religionskriege schwächten das Land, Seuchen rafften das Vieh hin. So viel Unglück schürte die Angst vor dunkler Magie, die sich in mehr als 400 Hexenprozessen austobte. Fast alle Angeklagten fanden den qualvollen Tod, nachdem ihnen im ersten Stock des schönen stufengiebeligen Rathauses der Folterprozess gemacht wurde, wo sich heute das Heuson-Regionalmuseum befindet.
Wie trostlos und kalt es in den Kerkern war, zeigt etwa die Erlebnisführung „Hexenwerk und Hexenwahn“. „Unsere lustigen Führungen sind aber mehr gefragt“, sagt Stadtführerin Verena Eimer. Vor allem der Gang durch die Stadt mit dem zerstrittenen Touristenpaar „Karl-Heinz & Gisela“ ist der Renner.
Der einstige Schlossherr Ernst Casimir wusste die Geschicke der Stadt 1712 durch sein Toleranzedikt klug zu lenken, mit dem er Religionsflüchtlinge und Inspirierte, sogar Ungläubige hinter und vor die eindrucksvollen Stadtmauern lockte. Seitdem gibt es die Vorstadt mit der schönen Fachwerkzeile vor dem Jerusalemer Tor, in der sich vorwiegend Hugenotten ansiedelten.
Die Führung durchs kühle Schloss übernimmt Christa Hollnagel im Dienste der heutigen Fürstin Leonille. Räume mit ungewöhnlichen Wandbemalungen und eine außergewöhnliche spätgotische Schlosskapelle zeugen neben dem Rittersaal sowie einer Alchimistenküche davon, wie das Büdinger Adelshaus sein Wohn- und Repräsentationsbedürfnis dem Zeitgeschmack anpasste.
Heute bewohnen die Zu Ysenburgs einen Teil des Schlosses im Sommer, für den Winter haben sie sich in der Nähe eine Landvilla gebaut. Aber auch sonst haben sich die Zeiten geändert. Immer wieder gibt es Gerichtsprozesse, viele in der Stadt liegen im Streit mit der fürstlichen Familie. Während ihr Mann sich gern noch mit „Durchlaucht“ anreden lässt, mäht Leonille zu Ysenburg heute den Schlossrasen mit einem Rasenmähertraktor und putzt mit über 70 Jahren auch eigenhändig ihr Hotel im Schloss. Das Leben muss ja weitergehen hinter den historischen Mauern.
Informationen:
Büdinger Tourismus und Marketing Gesellschaft, Marktplatz 9, 63654 Büdingen, Tel.: 06042/96370, E-Mail: mail@buedingen.info.