Islands Tourismus boomt: Neue Seifenblase?
Reykjavik/Thingvellir (dpa) - Nach dem Bankenkollaps kam der Tourismus-Boom. Island ist im Gefolge der Finanzkrise erschwinglicher geworden. Die dramatischen Zuwächse bei den Besucherzahlen bringen Wagemutige schon in „Goldgräberstimmung“.
Wer die überwältigende Aussicht auf Islands Nationalpark Thingvellir still für sich genießen will, muss neuerdings früh aufstehen und sich warm anziehen. So massiv ist der Tourismus-Boom auf der Nordatlantikinsel, dass jetzt auch schon lange vor der Sommersaison Heerscharen von Besuchern von Reykjavik aus zu diesem Naturjuwel samt dem gigantischen Wasserfall Gullfoss und den wasserspeienden Geysiren pilgern.
„Wir hatten im letzten Jahr eine Steigerung von 80 Prozent und kommen auf eine halbe Million Besucher im Jahr“, berichtet Thingvellir-Sprecher Einar Asgeir Saemundsen. Insgesamt hat der Tourismus seit dem Bankenkollaps auf Island 2008 explosiv zugenommen. Zuletzt steigerte sich die Zahl ausländischer Besucher 2012 um 19 Prozent auf über 600 000, fast das Doppelte der Einwohnerzahl.
„Wer weiß, in diesem Jahr könnten es über eine Million werden“, sagt Erna Hauksdóttir vom Tourismusverband. Dass die früher als extrem teuer geltende Atlantikinsel durch den steilen Fall der Landeswährung Krone erschwinglicher geworden ist, sieht sie nur als einen Grund: „Unser Marketing für Winterreisen hat voll durchgeschlagen. Hier gibt es Steigerungsraten von 30 bis 40 Prozent.“
Neben der Fischerei als wichtigster Einnahmequelle hat der Fremdenverkehr in den fünf Jahren seit dem Banken-Desaster an Bedeutung auch für die leere Staatskasse massiv zugenommen. Bei den Wahlen im April brachte der konservative Spitzenkandidat Bjarni Benediktsson seine Partei auf den ersten Platz mit einem klaren Kurs gegen die von der bisherigen Regierung der Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdardóttir angestrebte EU-Mitgliedschaft.
„Es besteht eine praktisch grenzenlose Nachfrage nach unseren Produkten“, erklärt Benediktsson, warum es nach seiner Meinung ohne Brüssel viel besser laufen könnte. Er verweist neben dem globalen Appetit auf Fisch auch auf erhoffte Touristenströme aus Asien: „Was da nicht noch alles aus China und Indien kommen kann“.
Erstaunliche Töne gerade aus der Partei, die ähnlich forsch vor einem Jahrzehnt die radikale Liberalisierung des heimische Bankengeschäfts betrieben hatte und scheiterte. Als die Banken 2008 nach aggressiven Kreditabenteuern zusammenklappten wie ein Kartenhaus, traf dies das Land schwerer als die meisten Vulkanausbrüche.
Aber die marktliberalen Kräfte auf Island haben bei den Wahlen die Mehrheit zurückerobert. Auch wirtschaftlicher „Wagemut“ scheint wieder im Kommen zu sein. Im März warnte der Fremdenverkehrsverband vor „Goldgräberstimmung“, weil die Zahl neu hochgezogener Übernachtungsmöglichkeiten inzwischen viel zu hoch sei. Ein Branchenkenner meinte: „Es gibt schon intern die Befürchtung, dass der jetzige Boom eine Seifenblase ist.“
Vorerst aber stehen die Isländer vor einem Touristenansturm im Sommer. Wird die Zahl von einer Million Besucher pro Jahr erreicht, wäre das eine Steigerung um 30 Prozent gegenüber 2012. Am erfolgreichsten ist das Tourismus-Marketing ausgerechnet in Großbritannien, wo die isländische Internetbank Icesave den gewaltigsten Schuldenberg hinterlassen hat. Briten standen 2012 für 39,9 Prozent der Buchungen in Island, gefolgt von Besuchern aus Norwegen (23,3), den USA (22,5), Frankreich (15,6) und Deutschland (14,7).