Luxemburg: Im Land der Kontraste
Luxemburg. Wenn sich eine Region als "Land der Vielfalt und Kontraste" anpreist, zucken Weltenbummler womöglich gelangweilt mit den Achseln. Nichts wird vielfältiger eingesetzt als Begriffe, die austauschbar erscheinen.
Im Großherzogtum Luxemburg dürfen jedoch selbst Globetrotter staunen: Obwohl die Hauptstadt nur 100 000 Einwohner zählt, ist sie kultureller Dreh- und Angelpunkt für Menschen aus mehr als 150 verschiedenen Nationen.
"Luxemburg war schon immer sehr begehrt - weil die Stadt strategisch günstig im Herzen Europas liegt", betont Tourismus-Expertin Cathy Girogetti und meint damit vor allem die militärischen Mächte, die in der Vergangenheit immer wieder um die rund 1050 Jahre alte Festungsstadt rangen. Doch die Zeit der Fehden ist zum Glück vorbei. Heute erfährt die multikulturelle Metropole, in der ein Drittel der Fläche grün ist, eine Renaissance, was die eigene Identität betrifft. "Die luxemburgische Sprache erlebt gerade einen Aufwind."
Girogetti kennt auch den Grund dafür: Seitdem ein neues Gesetz zur doppelten Staatsangehörigkeit in Kraft getreten ist, nimmt die Zahl der neuen Luxemburger rasant zu. Vor allem Familien denken um: Immer mehr Zugezogene, die in internationalen Firmen oder europäischen Behörden arbeiten, wollen sich integrieren und pauken in Sprachkursen Vokabeln - nicht zuletzt, um mit ihren Kindern auf Augenhöhe zu sein, die in öffentlichen Grundschulen auf Luxemburgerisch unterrichtet werden. Später folgen hauptsächlich französische Schulbücher.
Dass im dreisprachigen Land auch Deutsch an der Tagesordnung ist, macht es Touristen umso leichter, Luxemburger zu verstehen, die von der Vielfalt ihrer Heimat schwärmen. Vor allem vor dem Palais tummeln sich die Besucher - da, wo wachhabende Soldaten keine Miene verziehen dürfen, wenn ganze Busgruppen ihre Kameras zücken. Die Stadtresidenz der großherzoglichen Familie war vor 400 Jahren das erste Rathaus und wurde erst später zum Palast umgebaut - deshalb gibt es auch keine Prunkgärten wie in anderen Ländern, die ebenfalls Königliche Hoheiten vorweisen können.
Dafür sind fast überall gelbliche Sandsteingebäude zu sehen, die zu Luxemburg gehören wie die Wahlpflicht für Bürger, die gemütliche Altstadt oder der als volksnah geltende Großherzog, der abends auch schon mal in einer "gewöhnlichen" Pizzeria anzutreffen sein soll. Den passenden, gehobenen Nachtisch gibt es nicht weit entfernt vom Palais. Dort hat die luxemburgische Spitzenköchin Léa Linster Ende 2011 eine Dependance eröffnet. Die 58-Jährige hält bereit, was Weltenbummlern genauso munden dürfte wie den Einheimischen: Madeleines sind die Spezialitäten des Hauses.
Dass der Ort einst eine militärische Festungsstadt war, spürt man vor allem in den Kasematten - die ersten waren 1644 unter spanischer Herrschaft angelegt worden. Vier Jahrzehnte später hat Militäringenieur Vauban die unterirdischen Geheimgänge erweitert. Im 18. Jahrhundert wurde das Tunnel-Labyrinth noch einmal unter den Österreichern verlängert - auf insgesamt 23 Kilometer. Wie ein löcheriger Käse ist der gelbe Sandsteinfelsen ausgehöhlt. Früher konnte man vom Feind unbemerkt vom Tal bis ins Stadtzentrum gelangen - heute ist der Teil der Kasematten, der begehbar ist, die beliebteste Touristenattraktion in Luxemburg-Stadt. Rund 100 000 Gäste spazieren pro Jahr durch den unterhöhlten Felsen - und bewegen sich dabei in unmittelbarer Nähe zum Geburtsort der Stadt. Auf dem Felsvorsprung, auf dem der Geburtsstein der Stadt zu finden ist, hat man den schönsten Blick auf die Altstadt, die 2014 allen Grund zum Feiern hat: Vor 20 Jahren - 1994 - wurde sie zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt.
Der Kontrast ist unglaublich: Auf der einen Seite der Festungsmauern breitet sich die pittoreske Altstadt aus, auf der anderen lässt der modernen Kirchberg grüßen. Vielfältiger könnte die Architetkur in der Tat kaum sein: Schon von weitem sieht die Hochhaus-Kette, die über der Stadt thront, imposant aus. Wer sich dem Kirchberg-Plateau nähert, zuckt längst nicht mehr mit den Achseln, sondern streckt respektvoll den Hals. Neben der Philharmonie wirkt vor allem der Mudam-Bau (Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean) wie ein Wegweiser in die Zukunft. Daneben sehen die Büros des neuen Europäischen Gerichtshofs aus wie zwei riesige Goldbarren. Cathy Giorgetti bringt es auf den Punkt: "Die Stadt wirkt provinzell - und ist es doch nicht." Man könnte auch sagen: Vielfalt muss nicht immer nur eine Floskel sein.