Karibik Matanzas auf Kuba: Ein Ort zwischen zwei Hotspots

Viele Kuba-Touristen kennen Matanzas – vom Vorbeifahren. Die Küstenstadt liegt an der Hauptroute zwischen den Hotspots Havanna und Varadero und will wieder an alte Zeiten als kulturelles Zentrum anknüpfen. An einer Flusspromenade haben sich Künstler und Kneipen angesiedelt.

 Die Bucht von Matanzas mit den typischen karibisch-bunten Häusern.

Die Bucht von Matanzas mit den typischen karibisch-bunten Häusern.

Foto: Martin Cyris

Es regnet. In der Karibik – entgegen vieler Klischees – nicht gerade ein Ereignis mit Seltenheitswert. Über der Nordküste Kubas hängen dicke Gewitterwolken. Immerhin zeigt das Thermometer um die 30 Grad und der tropische Regen ist meistens nur kurz dafür umso heftiger. Platzregen klatscht in dicken Tropfen auf den Asphalt. Bevor in Kürze wieder die Sonne scheinen wird, retten sich die Bewohner von Matanzas in ihre Häuser oder in die Geschäfte und Bars im Stadtzentrum.

Eine gute Adresse, um Unterschlupf zu suchen, ist neuerdings die Calle 97, im Volksmund Calle Narvaez. Erst kamen dort eine Handvoll Künstler mit ihren Ateliers sowie Gastronomen unter, und jetzt zieht die einst verwahrloste Flussuferpromenade auch immer mehr Besucher und Gäste an. Das Ausgehviertel war bis vor Kurzem ein verwahrloster, trostloser Ort.

Aus einer Ruine
ein Café gemacht

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie es hier vor dem Umbau ausgesehen hat“, stöhnt Yunier Díaz Mesa vom Café Artys. „Das Gebäude war eine Ruine, ein Desaster!“ Der 31-Jährige legte selbst Hand an. Dabei versteht er sich weniger als Handwerker, denn als Künstler. In seinem Café stellt er eigene und Werke von Freunden aus. Die Künstlerkneipe mit den freigelegten Ziegelwänden und ihren Loungemöbeln könnte man auch im Pariser Quartier Latin oder in Londons Soho verorten.

Für das vorher verfallene Gebäude hat er einen Vertrag mit der Stadtregierung abgeschlossen. Privatinvestoren und motivierte Macher wie er haben noch am ehesten die finanziellen Möglichkeiten, die für kubanische Verhältnisse stattlichen Mietpreise in bevorzugten Lagen aufzubringen – nämlich durch den Verkauf von Kunstwerken und Cocktails. Die Behörden sorgten ihrerseits für Kosmetik an den Fassaden und Gehwegen.

Das Sanierungsprogramm wurde von der sozialistischen Regierung in Havanna angestoßen, die schon seit einigen Jahren einen Teil der chronisch knappen Staatsgelder in verschiedene Gemeinden lenkt, um den Rundreise- und Backpackertourismus anzukurbeln. Vor allem kleinere Kolonialstädte mit sehenswerten historischen Stadtzentren sollen davon profitieren. Etwa Gibara, Sagua la Grande – oder jetzt Matanzas.

Regierung rationiert Lebensmittel und Sanitärartikel

Mitsamt seinen Nachbarn in der Calle Narvaez setzt Yunier auf die Zukunft: „Unsere künstlerische Inspiration wird der ganzen Stadt helfen“, ist er sicher. Sein Café ist innerhalb weniger Monate zu einem beliebten Treffpunkt geworden, die Gäste schätzen die gekonnt gemixten Drinks und die Speisen, zum Beispiel die üppig gefüllten Tacos. Wer die richtigen Kanäle kennt, kommt in Kuba nach wie vor zu Nachschub, trotz der neuerlichen Rationierung der Regierung bei Lebensmitteln und Sanitärartikeln.

Yuniers Belegschaft hat jedenfalls gut zu tun. Zum Dank darf sich der Koch im stickigen Arbeitszimmer des Chefs ausruhen und Luft zufächeln. Oben ohne, vor sich eine Piña Colada. Neben sich drei Motoroller, die die Belegschaft vor dem Regen in Sicherheit gebracht und kurzerhand durch den Gastraum ins Büro gesteuert hat. In Deutschland ein Fall für Ärger mit den Ämtern, in Kuba kein Grund für Aufregung.

Sie war auch ein Ableger der diesjährigen Havanna-Biennale. Noch immer thronen die Plastiken der großen Kunstausstellung im öffentlichen Raum. Wie etwa jene überdimensionale Stahlfigur, die sich sinnbildlich für ganz Matanzas energisch und entschlossen ihrer Krücken entledigt.

Ein Atelier namens
„das Gekritzel“

Durchstarten will auch Adrian Socorro. Er hat sich in einem renovierten Gebäude in der Calle Narvaez eingerichtet. Sein Atelier trägt den Namen El Garabato, das Gekritzel. Eine Untertreibung. Mit Acrylfarben bringt der 39-Jährige zeitgenössische Kunst auf die Leinwand, mit der er sich in der Hauptstadt Havanna nicht verstecken müsste. „Aber was soll ich in Havanna“, sagt er, „dort wäre ich nur einer unter vielen.“ Er zitiert ein kubanisches Sprichwort: „Es ist besser der Kopf des Löwen zu sein, als der Schwanz.“

Von nebenan ertönen Trompetenklänge. Sie stammen von der Musikhochschule, die ebenso in der Calle Narvaez ansässig ist wie eine Kunstschule. Matanzas gilt als Wiege von Musikstilen wie der Rumba und des Danzón. Allgemeinwissen für die musikbesessenen Kubaner. Inzwischen weniger bekannt ist ihnen der eigentlich berühmteste Sohn der Stadt: Perez Prado. Sein „Mambo No. 5“ wurde Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung zu einem Welthit.

Ironie der Geschichte: In Kuba läuft die moderne und international höchst erfolgreiche Fassung von Lou Bega gänzlich unter ferner liefen, außerhalb ist sie fester Bestandteil der globalen Partykultur. Doch das Renovierungsprogramm brachte frischen Wind in die Stadt – und der nach etlichen Wirtschaftskrisen vom täglichen Überlebenskampf entnervten Bevölkerung vielleicht auch einen Sinn dafür, sich seiner Geschichte und seiner Söhne und Töchter zu erinnern.

„Ohne Kultur ist keine Freiheit möglich“, wusste der Ex-Präsident Fidel Castro einmal seinem Volk zuzurufen. Matanzas war reich davon und brachte ihr den Beinamen „Athen Kubas“ ein. Prunkvolle Gebäude wie der azurblaue Palacio del Junco zeugen von der einstigen Bedeutung und vom vergangenen Reichtum der Stadt. Oder das wuchtige Teatro Sauto, ein bedeutender neoklassizistischer Bau und Lebenswerk eines Zuckerbarons. Und natürlich auch die Kolonialgebäude in der frisch herausgeputzten Fußgängerzone, der Calle Medio, oder rund um die zentrale Plaza de la Libertad. Dort gibt es ebenfalls Bars und Cafés.

Der Zucker brachte
einst den Wohlstand

Der Zucker war es, der Matanzas den Wohlstand gebracht hatte. Die Stadt war wichtigster Zuckerhafen der Karibikinsel, im 19. Jahrhundert wurde von dort ein Viertel der Weltproduktion in Umlauf gebracht. Im Windschatten des Aufstiegs florierten Kunst und Kultur, im Teatro Sauto traten Weltstars wie der legendäre Operntenor Enrico Caruso auf. Doch nach dem Zusammenbruch der Zuckerindustrie verkam Matanzas zu einem Provinznest.

Im Zuge seiner Frischzellenkur will Matanzas wieder raus aus dem Schatten, Besuchern seine architektonischen Schätze zeigen. Oder zumindest das, was vor dem Verfall gerettet werden konnte. Die historische Gebäudesubstanz leidet seit langem und ist vielerorts in einem beklagenswerten Zustand.

„Es ist ein großer Kraftakt“, sagt Leonel Pérez Orosco, Direktor der Restaurationsbehörde der Provinz Matanzas. Viel materielle und immaterielle Substanz sei verlorengegangen. Immerhin rund ein Viertel der Altstadt konnte bis jetzt saniert werden. „Wir machen weiter“, versichert Pérez – auch wenn es einem Kreuzzug gleichkäme, wie er pathetisch hinterherschickt. Durch die jüngsten US-Sanktionen gegen Kuba und ihre negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft droht neues Ungemach.

Unterdessen sitzen die Künstler und Gastronomen in der Calle Narvaez einigermaßen im Trockenen. Nicht nur, weil der Regen aufgehört hat, sondern weil sie mit ihrem Eifer und ihrem Angebot den Nerv getroffen haben.

Unter die Einheimischen mischen sich auch gelegentlich Gäste aus dem nahegelegenen Hotelanlagen von Varadero, die Abwechslung vom Strandleben suchen. Hin und wieder können Yunier und Adrian ihre Kunst an Touristen verkaufen. „Matanzas hat jetzt wieder eine Zukunft“, sagt Adrian. Trotz der neuerlichen Wirtschaftskrise.

Die Reise wurde unterstützt vom Cubanischen Fremdenverkehrsbüro.

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