Kanalinseln Guernsey:Steile Küsten und laute Kanonen
Guernsey ist klein, ein bisschen verträumt und das Leben dort besonders. Eine kontrastreiche Tour über die Kanalinsel.
Ein lehmiger, enger Pfad windet sich um die Felsen, immer wieder ragen Büsche und Gräser auf den Weg. Hinter der nächsten Kurve dann plötzlich ein kleines Plateau auf einem Vorsprung, der kaum mehr als eine Felsnase ist. Freier Blick auf die Küste: Steil ist sie, hunderte Meter fällt sie fast senkrecht ins Meer hinab. Zerklüftet und rau liegen die braun-grauen Gesteinsmassen da, an denen sich tosend die Wellen brechen. Gischt schäumt auf, Wasser sprudelt um die bizarren Felsformationen, die überall vor der Küste aus dem Meer ragen. Das schimmert von tiefem Dunkelblau bis zu hellen Blautönen dort, wo das Wasser flacher und der Grund aus Sand ist. Guernsey ist ein Traum für Naturfreunde, ein Paradies für Wanderer, die sich vom Wind zerzausen lassen wollen und für die es kein schlechtes Wetter, sondern lediglich die falschen Klamotten gibt.
Ganzjährig mildes Klima
auf der Insel im Ärmelkanal
Die Sonne brennt vom blauen Himmel, der Sturm ist eisig. Warme Kleidung und eine dicke Jacke sind im Frühjahr ein Muss für jede Wanderung auf der britischen Kanalinsel. Ebenso Sonnencreme, denn die kühle Brise täuscht über die Kraft der Sonne hinweg. Guernsey liegt im Ärmelkanal vor der französischen Küste, der Golfstrom beschert dem Eiland ganzjährig mildes Klima. Frost ist selten, aber auch richtig warme Temperaturen kennt man dort nicht. Deshalb ist die Reisesaison kurz: Urlauber kommen fast nur im späten Frühjahr und in den Sommermonaten, wenn es bis zu 20 Grad werden.
Wer auf Guernsey Urlaub macht, ist meist Individualtourist. Fährt mit dem Mietwagen über die kleinen, sehr kurvigen Straßen, auf denen Autofahrer regelmäßig auf die schmalen Bürgersteige ausweichen müssen, weil es für Gegenverkehr zu eng ist. „Deshalb haben wir keine Bordsteinkanten“, erklärt Gaby Betley. Die Deutsche ist vor mehr als 25 Jahren nach Guernsey ausgewandert und führt Besucher über die Insel. Rund 62.000 Einwohner zählt die nach Jersey zweitgrößte britische Kanalinsel – und nur knapp 3000 Hotelbetten sowie rund 1500 Betten in Apartments und Ferienwohnungen für Selbstversorger. „Aktuell sinken sogar die Zahlen ein wenig, weil einige Hotels schließen“, sagt Gaby. Klein sind sie alle, Hochhäuser gibt es keine auf der Insel und ihre Lage verteilt auf der gesamten Insel ist fast immer perfekt: Entweder gibt es freien Blick aufs Meer, die weite Landschaft oder man ist mitten in der Stadt, wie beispielsweise in der Hauptstadt St. Peter Port. Der Tourismus soll angekurbelt werden, doch die Möglichkeiten sind begrenzt.
Die breiten Strände
gibt es nur bei Ebbe
Dabei überrascht die Insel mit so viel unerwarteter Schönheit. Wie beispielsweise mit breiten, feinen Sandstränden, die oft nur bei Ebbe freigegeben werden – denn Guernsey hat einen enormen Gezeitenwechsel. Klatscht bei Flut das Wasser noch meterhoch an die Kaimauern im Hafen von St. Peter Port, liegen Steine und Sand davor bei Ebbe auf dem Trockenen. Möwen segeln durch die Luft oder sitzen auf Felsen, Fischerboote liegen vertäut in Hafen. Am Nachmittag sind sie längst mit ihrem Fang zurück an Land, verkaufen ihren Fisch an die Restaurants der Insel. „Wir nehmen das, was die Fischer mitbringen“, sagt Günter Botzenhardt, Besitzer des Nobelrestaurants „Le Nautique“. Sein schickes Restaurant liegt direkt am Hafen von St. Peter Port, jeden Tag bekommt er den frischen Fang in die Küche und seine Gäste auf den Teller. Der gebürtige Schwabe lebt bereits seit den 1980er-Jahren auf Guernsey, arbeitete zunächst als Koch, eröffnete dann sein eigenes Restaurant. „Wir verarbeiten nur frische Zutaten. Gemüse, Fisch, Muscheln – was gerade Saison hat.“
Guernsey ist ein Muss
für Schmuckfans
Kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster führen vom Hafen aus durch die Stadt, winzige Kneipen und Pubs wechseln sich mit Boutiquen, größeren Modegeschäften und zig kleinen Juwelierläden ab. Wer hätte gedacht, dass Guernsey ein El Dorado für Schmuckfans ist? „Alles alteingesessene Traditionshäuser“, sagt Gaby. Und sie können offenbar auch in direkter Nachbarschaft gut existieren, was nicht nur an der nicht vorhandenen Mehrwertsteuer liegen kann. „Auf der Insel ist richtig viel Geld“, sagt die Touristenführerin. „Die Einwohner sind überwiegend wohlhabend.“ Zum Beweis stehen überall an der Küste Villen und Gutshäuser, Meerblick aus Panoramafenstern ist selbstverständlich. So wirklich geschäftiges Treiben herrscht in der Stadt nicht, die Läden schließen am späten Nachmittag. Gerade einmal samstags mittags ist Shopping-Zeit.
Bunker, Kanonen
und Festungen
Besucher schlendern zum Castle Cornet – eine 800 Jahre alte Festung, die vor dem Hafenbecken liegt. Punkt 12 Uhr wird dort jeden Mittag eine Kanone abgefeuert: Mit lautem Knall und von zwei Männern in historischer Soldatentracht. Anschließend posieren sie mit Touristen für Erinnerungsfotos. Die Insel hält ihre Vergangenheit lebendig – auch ihre jüngere. Überall entlang der Küstenlinie sind Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg erhalten. Völlig intakte Schützengräben samt den kleinen Räumen, die zum Essen und Schlafen genutzt wurden, sowie die überspannenden Tarnnetze liegen frei zugänglich an der Küste. Kein Müll in den Ecken, kein Graffiti an den Wänden – Guernsey ist sogar weit draußen sauber und aufgeräumt. Diese Stätten erinnern an die deutsche Besatzungszeit – ein beklemmendes Gefühl, auch mehr als 70 Jahre nach Kriegsende.
All dies fügt sich jedoch stimmig in eine Reise über die Insel ein. Es ist Teil einer großen, kontrastreichen Besichtigungstour, die auch zu wunderschönen Gärten, Wäldern, in denen nur einmal im Jahr für kurze Zeit Bluebells blühen und sich wie strahlend blaue Teppiche im Schatten der Bäume ausbreiten, einsamen Wanderwegen und dem einstigen Wohnhaus von Victor Hugo führt. Der französische Schriftsteller lebte nach seiner Verbannung aus Frankreich von 1856 bis 1870 im Exil auf Guernsey und schrieb dort „Les Miserables“. Das Hauteville House, sein Stadthaus in St. Peter Port, ist heute ein Museum.
Die Inseltour führt auch zur wohl kleinsten Kapelle der Welt: The Little Chapel in Les Vauxbelets im südlichen Teil der Insel. Bereits 1914 hatten dort im Exil lebende französische Mönche mit dem Bau einer Miniaturnachbildung der Grotte von Lourdes begonnen, die im Laufe der Jahrzehnte und in verschiedenen Versuchen fertiggestellt wurde. In den Eingang dieses winzigen Schmuckstücks passt gerade einmal eine Person, auch die Gänge kann man nur einzeln und gebückt betreten. Jeder Zentimeter innen und außen ist mit bunten Porzellanscherben und perlmuttglänzenden Muscheln geschmückt – wie ein endloses Mosaik. Staunend betrachten Besucher die Mini-Gewölbe mit ihrem Interieur, Kuppeln und Bögen – alles im Inneren ist rund. Liebevolle Kleinstarbeit, die heute ausschließlich durch Spenden und die The Little Chapel Foundation erhalten bleibt.
Die Reise wurde unterstützt von Visit Guernsey.