Camp in Marokko Erg Chegaga in Marokko - Der Klang der Wüste
Wer den Zauber der Wüste erleben will und die Kultur der Berber kennenlernen möchte, sollte Marokkos größte Wüste die Erg Chegaga aufsuchen. Naji möchte in seinem Camp Besuchern beides nahe bringen. Wenn die Gäste mit Tränen in den Augen Abschied nehmen, hat er seine Mission erfüllt.
Hacme kniet im Wüstensand am Fuße einer Düne und stochert in der Glut des Feuers herum. Warmorange Funken lösen sich im dunklen Nachthimmel auf, Sterne funkeln blass hell zurück, verdichten sich zum milchig weißen Band. Mit einem dicken, kantigen Ast schiebt der Berber neben der Feuerstelle zuerst Sand zu einer glatten, waagerechten Fläche weg, um fast die ganze Glut auf ihr zu verteilen. Dann breitet der 64-Jährige neben sich ein großes Tuch aus, nimmt Teig aus einer Schüssel und knetet den aus Mehl, Wasser und etwas Salz bestehenden Klumpen noch mal durch. Aus der Kugel macht er auf dem bemehlten Tuch geschickt einen flachen Fladen. Mit dem Knüppel schiebt er Sand über die Glutfläche, legt den Fladen darauf, schiebt noch mal heißen Sand und Asche darüber. So wie Hacme backen die Nomaden der Sahara schon seit Jahrhunderten oder länger das „Aschebrot” im heißen Wüstensand.
Nur ein paar Kerzen beleuchten die Szene, lassen Hacme zu einer Schattenfigur werden. Er trägt einen blauen Kaftan, ein brauner Turban ist um seinen Kopf geschlungen. Turnschuhe und Jeans blitzen unter dem Gewand hervor. Mit Holz entfacht er die restliche Glut zu einem neuen Feuer. Etwa 15 Minuten dauert es, bis der Fladen von einer Seite gebräunt ist. Währenddessen gesellen sich die anderen Berber in ihren Gewändern und Turbanen hinzu und gruppieren sich um die Feuerstelle. Einer von ihnen stimmt ein Lied an, begleitet von rhythmischem Klatschen. Alle stimmen mit ein. Der monotone Gesang wird mit Gequiecke, Kichern und Zwischerufen gewürzt.
Hacme fegt den Sand und die Asche weg, nimmt den Fladen und wendet ihn. Dann bedeckt er das halbfertige Aschenbrot wieder, begleitet von Gesang und Gelächter. Das fröhliche Treiben überträgt sich auf die umstehenden Zuschauer. Als das Brot fertig ist, klopft Hacme es von Sand und Asche frei, reißt es in Stücke und verteilt die dampfenden Brocken an alle. Auch wenn das Brot extra für die Reisegruppe gebacken wird, ohne umstehende Touristen wäre die Szene so wohl abgelaufen.
Hacme ist der älteste von sieben Berbern, die für den 37-jährigen Naji in dessen Wüstencamp in Souss-Massa-Draâ in Süd-Marokko arbeiten. Mindestens 50 solcher Camps verteilen sich in der weitläufigen Sandwüste Erg Chegaga. Zu sehen und zu hören sind sie nicht. Die Illusion, das einzige Camp in der Weite der Wüste zu sein, schiebt die Realität beiseite und macht Platz für den Zauber des Orients.
Bei der Ankunft am Abend nach Sonnenunterkunft flackern Lampen verschwenderisch verteilt im Camp. Junge Berber in weißen Gewändern und mit Turbanen aus meterlangen Schals auf dem Kopf reichen den typischen marokkanischen Tee mit Minze und viel Zucker und Datteln zur Begrüßung. Im Schein des schwachen Lichts leuchten ihre Augen, ihr offenes Lächeln vertreibt die anfängliche Schüchternheit. War der ursprüngliche Plan, den Sonnenuntergang in der Sandwüste zu erleben, statt in der Steinwüste, so scheint dieser nächtliche Empfang gerade richtig zu sein, um sich auf die märchenhafte Welt von Marokko einzustimmen.
Der Klang der Wüste
Musik spielt auf. Mit Trommel, Verstärker und E-Gitarre bringen die Musiker der marokkanischen Band Génération Taragalte die müden Beinen der Reisenden zum Zucken und Wippen. In Nordafrika sind die Musiker keine Unbekannten. Auf etlichen Festivals traten sie schon auf, mischen traditionelle Lieder aus der Sahara – die ihren nomadischen Hintergrund widerspiegeln –, und moderne Töne zu einem marokkanischen Wüstenblues. Seit 2009 spielt die Band zusammen. Ihre Musik ist stark von Musikern wie Ali Farka Touré und später von der berühmten Tuareg-Band Tinariwen inspiriert. Gastgeber Naji weiß seine Gäste zu unterhalten.
Beim Abendessen werden Speisen im Überfluss aufgetischt. Suppe, Brot und Oliven, die traditionelle Tajine mit Couscous, Gemüse und Fleisch und Obst zum Nachtisch. Es fehlt an nichts. Am Ende der langen Tafel thront Naji. Wohlwollend genießt er die zufriedenen Gesichter. Nach dem Mahl ist Unterhaltung angesagt. Wieder greifen die Musiker von Génération Taragalte zu ihren Instrumenten. Der netten Aufforderung zum Tanzen kann niemand widerstehen. Es wäre wohl auch unhöflich. Draußen am Lagerfeuer geht die Feier mit Abdelkrim, Mobarak, Ahmad und Ali weiter. Auch Hacme nimmt die Gäste an die Hand. Seine sind rauh wie Schmirgelpapier. Es dauert eine Weile bis alle Reisende müde getanzt sind. Nur die Berber scheinen noch ewig weiter machen zu können. Den Lichter folgend suchen Najis Gäste schließlich spät in der Nacht ihre Zelte auf.
Vierzehn Zelte, oder vielmehr Bauten mit festen Lehm-Wänden, scharen sich in Hufeisenform um das Hauptzelt im Camp. Teppiche aneinandergereiht weisen den Weg zu jeder Holztür der einzelnen Unterkünfte. Drinnen ist es weitaus luxuriöser als in einem Wüsten-Camp zu erwarten ist. Doppelbett, Kommode, Nachtschränkchen, Strom für die Glühlampe, ein durch Vorhang abgeteiltes Badezimmer mit Toilette, Waschbecken und einer einfachen Dusche. Bademantel und Hausschlappen empfangen die Urlauber, die auf Komfort nicht verzichten möchten. Im Mittelpunkt des Camps laden Feuerstelle und Liege- und Sitzstätten zum Entspannen ein.
Wie Gäste zufrieden zustellen sind, hat Naji sich selber beigebracht. Der 37-Jährige ist hier in der Gegend geboren. Er hat acht Brüder und drei Schwestern. Verdienten seine und die 70 anderen Familien noch vor gut 25 Jahren mit Kamelhandel ihr Geld, so wurde die anhaltende Trockenheit in der Wüste zum Problem. Nun ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle für die Wüstenbewohner geworden.
Naji selber besuchte neun Jahre die Schule und führte mit 14 Jahren zum ersten Mal Touristen mit Kamelen durch die Wüste. Dann baute er zwei Zelte mit anderen Berbern, kaufte mit den Einnahmen Dromedare und vergrößerte sich Stück für Stück. Alles was mit Tourismus und Gastronomie zu tun hat, hat er sich selber angeeignet. Die sieben Leute, die für ihn arbeiten, stammen aus der umliegenden Oasenstadt M’hamid, die ungefähr 60 Kilometer weit entfernt liegt. Inzwischen hat Naji auch ein Hotel in Foum Zguid, dass ein Bruder von ihm als Geschäftsführer leitet.
Naji möchte, so sagt er, den Touristen, das Gefühl der Wüste nahe bringen, den Himmel, die Sterne und seine Kultur. Manche Gäste würden weinen, wenn sie vom Camp Abschied nehmen müssen, erzählt er.
Der Selfmade-Man kennt noch beide Lebensweisen. Das Nomadenleben sei schwer gewesen. Sie hatten kaum Wasser und kaum Geld zum Überleben, aber es sei auch ein ruhiges Leben gewesen. Jetzt habe er mehr Stress. Auf die Frage, ob er verheiratet sein, lächelt Naji, senkt die Augen und zieht sich verschämt das Ende seine Turbanschals vor das Gesicht. Eine Frau habe er noch nicht, werde aber in drei Monaten heiraten. Seine Mutter hat vier Kandidatinnen und sucht die passende Frau für ihn aus, er selber kennt sie noch nicht. So war das schon immer im ländlichen Marokko und so wird es immer noch praktiziert. Er habe mal eine Freundin selber gesucht, erzählt Naji weiter und hält sich immer noch das Tuch vor dem Mund. Die Beziehung zerbrach und jetzt vertraue er lieber seiner Mutter und er freue sich auf die Hochzeit.
Seine zukünftige Frau wird bei Naji im Camp arbeiten. Für Touristen wird sie aber wohl eher unsichtbar bleiben. Im ländlichen Leben sind die Rollenverteilungen traditionell wie vor hunderten Jahren. Männer dominieren das öffentliche Bild.
Die Farben der Wüste
Der erhoffte Sonnenaufgang am nächsten Morgen versteckt sich unter einer dünnen Wolkendecke. Hacme hat die Gäste auf einem Dünenkamm hinauf geführt. Mit flinken Schritten erklimmt der drahtige Mann die Erhebung. Das Gehen ist mühselig. Die Füße sinken tief ein, die Schuhe werden schon bald zu eng und zu klein, der feine Sand rieselt in alle Löcher und Ritzen hinein. Trotz dunstigem Himmel ändert sich das Farbenspiel der Dünen von Minute zu Minute. Aus dem blass bläulichen Ocker wird ein Grüngold, dann ein Chromgelb. Hacmes blauer Kaftan leuchtet dagegen an. Das Camp in der Ferne besteht nur noch aus schwarzen und weißen Punkten. Hacme macht sich auf zum nächsten Dünenkamm, die Gäste stapfen hinterher. Kurze Verschnaufpause, bald schon ist der dritte Kamm erreicht.
Ab hier verliert der Unkundige die Orientierung, das ockerfarbenes Meer mit seinen Wellenbergen erstreckt sich bis zum Horizont und droht alles zu verschlingen. Langsam verziehen sich der graue Schleier und der Himmel spiegelt die Farbe von Hacmes Kaftan wieder. Lichtblau und Chromgelb - jetzt scheint alles ausbalanciert, die Farbharmonie wirkt auf Körper und Seele, die Leere der Wüste beruhigt. Immer weiter, immer weiter – der wogende Horizont lockt in der Ferne.
Zurück im Camp ist das reichhaltige Frühstücksbuffet aufgebaut. Traditionelle Küche mischt sich mit europäischen Gewohnheiten. Amlou, die cremige Paste aus Honig, Arganöl und Mandeln versüßt die baldige Abfahrt.Beim Abschied bekommt Naji für seine Helfer einen Umschlag zugesteckt. Sofort gibt er diesen an den Nächststehenden weiter, der den Umschlag Hacme, dem Ältesten, überreicht. Das alles geht flink, diskret und geschmeidig über die Bühne. Naji stimmt mit den anderen noch einmal ein fröhliches Lied an und nimmt dieses Mal selber die E-Gitarre in die Hand. Ihr Spaß überträgt sich auf die Umstehenden, ihr Lachen steckt an. Tränen haben keine Chance. Doch die Sehnsucht, die sich bald in Fernweh wandeln wird, ist entfacht. Die Wüste hat was berührt. Naji und seine Berber haben was berührt.
Später auf dem Rückweg an einem Imbiss im ausgetrockneten Irikisee, dem einzigen Imbiss weit und breit. Ein Radfahrer aus der Schweiz kreuzt den Weg der Reisegruppe. Der 47-Jährige tourt seit drei Wochen durch Südmarokko. Die letzte Nacht habe er nicht in guter Erinnerung, erzählt er genervt. Wie sich herausstellt, schlug er sein Zelt in Nachbarschaft zu Najis Camp auf. Statt Stille unterm Sternenzelt, Musik, Gelächter und Gesang in der Nacht.
Etwas weiter dann wandert gemächlich eine Kamelherde zwischen den Sanddünen der Sahara. Sie gehört einer Nomadenfamilie, gehütet wird sie von einem von Ihnen. Der alte Mann läuft gebückt, seine Kleidung ist teilweise zerfetzt, die Schuhe haben Löcher. Er scheint aus biblischen Zeiten herüber gewandert zu sein. Er bitte um Wasser, das kostbarste Gut hier in der kargen Gegend. Najis Worte kehren zurück: Früher war das Leben schwer, heute ist es stressig.
Hinweis: Die Reise wurde vom Rural Tourism Development Network Morocco unterstützt. www.maroc-tourism-rural.com. Die journalistische Unabhängigkeit und persönliche Eindrücke blieben davon unberührt.