Unterwegs in Neuseelands Südosten
Dunedin (dpa/tmn) - Neuseeland ist bekannt für seine überwältigende Natur, nicht für bemerkenswerte Städte. Dunedin ist eine Ausnahme. Der Goldrausch ließ eine schmucke Altstadt wachsen. Und gleich vor der Tür findet der Urlauber auch wieder überwältigende Natur.
Der letzte Bissen Lamm ist kaum geschluckt, da ruft David, man müsse jetzt dringend losfahren, schließlich wolle ich doch die Stadt sehen. Gern wäre ich noch eine Weile sitzen geblieben, denn mein neuseeländischer Gastgeber wohnt in den Hügeln im Süden Dunedins, und an Sommerabenden zeigt der Blick nach unten eine golden leuchtende Stadt vor dem sanft geschwungenen Grün der Halbinsel Otago, umrahmt vom stahlblauen Pazifik. Aber David ist Neuseeländer, und das bedeutet: Draußen ist besser als drinnen, und Bewegung ist besser als Ruhe. Also ab in die Stadt.
Dunedin ist mit 120 000 Einwohnern die viertgrößte Stadt im Südosten des Landes und der ideale Ausgangspunkt für leichte Tagestouren ins Umland. Man braucht weder Wanderschuhe noch Paddelboot, nicht einmal besondere Ausdauer.
Und während viele neuseeländische Orte lose Sammlungen vorstädtischer Wohngebiete ohne wahres Zentrum sind, hat Dunedin eine Stadtmitte, wie sie europäischer kaum sein könnte: Das Oktagon, der achteckige Platz im Zentrum der Stadt, ihr Schaukästchen.
„Im Goldrausch der 1880er Jahre stieg Dunedin zur reichsten und größten Stadt Neuseelands auf“, erklärt David. Er zeigt auf den viktorianischen Prachtbau des Rathauses, gekrönt von einem prächtigen Glockenturm. Daneben die neogotische Kathedrale St. Paul, Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet, schlank und doppeltürmig. Es folgen, rund um den Platz, das Theater und die Dunedin Public Art Gallery, die unter anderem Werke von William Turner und Claude Monet zeigt.
Unter den Bäumen in der Mitte des Platzes sitzen Stadtbummler und Studenten, die ein Fünftel der Bevölkerung Dunedins stellen. Zwei Einkaufsstraßen kreuzen das Oktagon, an ihnen reiht sich Bistro an Bar, Café an Pub, Steakhaus an asiatisches Restaurant.
Man könnte hier den ganzen Nachmittag vertrödeln, aber David findet, es sei nun genug des Stadtbummels. Wir fahren also ins Grüne, nach Otago. An der Spitze der Halbinsel, dem Taiaroa Head, steht ein Leuchtturm mit roter Kappe auf einer hohen Klippe. Gleich daneben nistet eine Albatros-Kolonie. Die schlanken, weißen Vögel gehören mit einer Spannweite von etwa drei Metern zu den größten der Welt. Ihre Kolonie hier ist weltweit die einzige auf dem Festland.
Am nächsten Tag hat David seine Enkelin Leagh eingespannt. Sie arbeitet in Dunedins gewaltigem Bahnhof, ebenfalls gebaut mit dem Geld aus dem Goldrausch, ein Palast aus Basalt und Granit, über dessen Erkern und Giebeln sich ein 37 Meter hoher Turm erhebt. „Der Bahnhof ist Neuseelands meistfotografiertes Gebäude“, sagt Leagh, dabei sind die meisten Verbindungen seit Jahrzehnten stillgelegt.
Umso beachtlicher ist die einzige noch betriebene Strecke: „Der Taieri Gorge Railway ist die Zugstrecke ins Landesinnere“, erklärt die junge Frau. Beinahe bis zur Quelle folge er dem Flüsschen Taieri, das sich durch steile Schluchten aus zerklüftetem Schiefer zwingt. Die Strecke führt nach Pukerangi, „Hügel der Himmel“ bedeutet das in der Sprache der Maori.
Die altmodischen Waggons aus den 1920er Jahren sind orangegelb lackiert, vorn eine stämmige Diesellok, drinnen dunkles Holz. Der Zug rumpelt los, und sobald er das weite Tal verlässt, in dem der Taieri zum Meer fließt, verändert sich die Landschaft: Aus dichtem, dunkelgrünen Nadelwald wächst zerklüftetes Gebirge, spärlich bewachsen, übersät mit Felsbrocken. Es geht über gewagte Brücken, die immer großzügigere Ausblicke auf reißendes Wasser und scharfkantige Gipfel freigeben - und den hohen Himmel Neuseelands.