Der Häuserkampf an der Steinstraße
Vor 30 Jahren wurden die leerstehenden Gebäude der Stadt besetzt, um auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen.
Krefeld. Alles ist genau geplant am Freitag, 5. Juni, vor 30 Jahren. Krefeld steht vor seiner ersten Hausbesetzung. Am frühen Abend fahren mehrere Autos an der Ecke Steinstraße/St. Anton Straße vor. Zwei junge Männer nähern sich der Eingangstür von Nummer 99. In Sekunden, so der Plan, sollte Freddy vom Schlüsseldienst die Tür des seit Jahren leerstehenden Gebäudes knacken. Aber Freddy hat Probleme. Die Minuten schleichen dahin, und der zweite Mann blickt sich beunruhigt um. Dann aber hat Freddy das Schloss doch geknackt.
„Los jetzt“, ruft eine Stimme. Aus allen Richtungen kommen eilig rund 30 Männer und auch Frauen mit allerlei Eimern, Säcken, Kleinmöbeln und verschwinden im Haus. Die städtischen Gebäude 97 und 99 auf der Steinstraße sind besetzt. Früher war hier das chemische Untersuchungsamt untergebracht. Im Nu hängen an Fenstern und Balkonen Transparente, die verkünden: „Dieses Haus lebt wieder“ oder „Wohnungen statt Raketen“. Das Gebäude wird als „Bürgerhaus“ deklariert.
Vor dem Eingang wird ein Informationsstand aufgebaut. Schon kurz nach der Besetzung bildet sich vor den Häusern eine große Menschentraube. Erste Spenden treffen ein. Putzmittel, Farbe, Getränke, Kaffee, Gulaschsuppe, Möbel. Hunderte von Menschen unterstützen mit Ihren Unterschriften die Aktion.
Noch am selben Abend werden in der Nachbarschaft Flugblätter verteilt, in denen es heißt: „Das Haus steht seit zwei Jahren leer. Es ist in einwandfreiem, bewohnbarem Zustand. Es umfasst 33 Räume mit einer Wohnfläche von fast 500 Quadratmetern.“ Die Aktion wird als „ein Signal angesichts von tausenden Wohnungssuchenden“ bezeichnet.
Die Nachbarschaft reagiert unterschiedlich. Aus einem Fenster wird Beifall geklatscht. Andere schütteln ungläubig den Kopf, ein anderer ruft die Polizei. Die schickt zwar einen Streifenwagen, der aber nach erstem Augenschein wieder abdreht. Infam finden das Teile der Lokalpresse. Denn es war der Freitag vor Pfingsten. Der Flachsmarkt war für die Polizei Hauptkampflinie und nicht die Steinstraße. Das hätten die Besetzer ganz bewusst genutzt.
Verwaltung und Politik versuchen mit einem anderen Trick, den Besetzern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie behaupten, bereits im kommenden Oktober (1981) sollten Teile der Häuser auf der Steinstraße abgerissen werden. Eine neue Turnhalle für das benachbarte Arndt-Gymnasium solle an gleicher Stelle entstehen.
Wie haltlos diese Behauptungen waren, zeigt sich bei einem Blick in die Geschichte des Gymnasiums. Dort heißt es: „Die seit Jahrzehnten geforderte Turnhalle wird gebaut und am 30. Mai 2000 eingeweiht.“ Zwischen den beiden Daten liegen fast 20 Jahre. Die besetzten Häuser aber waren davon nicht betroffen.
Dem Angebot der „Häuserkämpfer“ auf eine öffentliche Diskussion weicht die Politik aus. Zu einer „Bürgerversammlung“ im besetzten Haus mit Verwaltung und Ratsparteien erscheint nur der SPD-Politiker Dieter Backerra. Stattdessen greift die Politik auf juristische Mittel wie Strafandrohung und eine einstweilige Verfügung zurück, die am Donnerstag nach der Besetzung, am 11. Juni, zur Räumung durch die Polizei führt. Sofort danach werden Fenster und Türen zugemauert. Das Haus ist wieder tot.
Mit Schmunzeln denkt Dieter Backerra zurück. Damals, 1981, hatte seine Partei den jungen Ratsherrn zu den Hausbesetzern geschickt. Er sollte dort die (überwiegend) negative Haltung seiner Partei gegenüber Hausbesetzungen deutlich machen. Sein Auftreten dort wurde zwar nicht als sonderlich überzeugend, dafür aber als mutig angesehen. Und schmunzelnd gesteht er den Hausbesetzern von damals zu: „Die hatten recht. Die Häuser stehen ja immer noch.“