Strafprozess geplatzt Loveparade: Aufklärung rückt in weite Ferne

Gericht und Staatsanwälte werfen sich gegenseitig Versagen vor. Angehörige und Opferanwalt zeigen sich bestürzt.

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Duisburg. Der Strafprozess um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg vor fast sechs Jahren ist geplatzt. Bei den Hinterbliebenen der 21 Toten und den vielen hundert Verletzten löste der Beschluss der Richter am Dienstag Fassungslosigkeit aus.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Duisburg richtete sich gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters. Sie sollten sich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Die Richter begründeten die Ablehnung eines Strafprozesses damit, dass sich die Anklage im Wesentlichen auf ein zweifelhaftes Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still stütze. Der Experte habe sich auf zweifelhafte Zahlen bezogen und darüber hinaus die verfügbaren Unterlagen nie vollständig gesichtet. So habe die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen können, dass Fehler bei der Planung oder Genehmigung der Loveparade zu den Todesfällen führten.

Die Staatsanwaltschaft wiederum warf den Richtern vor, sie hätten sich bei Zweifeln an dem Gutachten „veranlasst sehen müssen, einen zweiten Gutachter zu beauftragen“.

Die Richter wiederum wiesen das zurück. Es sei ihnen „von Gesetzes wegen untersagt“, ein neues Gutachten einzuholen. Weil die Staatsanwaltschaft ihre Anklage nicht stichhaltig habe begründen können, habe es keine andere Möglichkeit gegeben als einen Strafprozess abzulehnen.

Der Düsseldorfer Opferanwalt Julius Reiter bezeichnete die Vorgänge als Justizskandal: „Durch die Entscheidung des Landgerichts ist auch die Abwicklung der Entschädigungen erheblich erschwert worden. Die Betroffenen sind jetzt auf langwierige Verfahren vor den Zivilgerichten angewiesen. Es ist zu befürchten, dass dadurch auch die Behandlung langdauernder seelischer Schädigungen gefährdet ist“. Mit Blick auf die gegenseitige Schuldzuweisung von Gericht und Anklägern betonte Reiter, dessen Kanzlei etwa 100 Hinterbliebene und Verletzte vertritt: „An einem der beiden liegt es ja nun. Aber das interessiert die Opfer nicht. Sie wollen Aufklärung, und dafür wäre ein Strafverfahren mit seinem Amtsermittlungsgrundsatz der viel bessere Weg als ein Zivilverfahren, in dem die Kläger beweispflichtig sind.“

„Die Angehörigen, die Betroffenen — wir sind fassungslos“, sagte Jörn Teich, der bei dem Unglück selbst schwer verletzt wurde. „Ich fühle mich retraumatisiert“, sagte Manfred Reißaus, der bei dem Unglück seine Tochter verlor.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte, sie achte natürlich die Unabhängigkeit der Justiz, sie wolle aber „als Mensch Hannelore Kraft“ zum Ausdruck bringen, dass dieser Beschluss für sie „schwer zu begreifen“ sei. Kraft, die in ihrer Trauerrede kurz nach dem Unglück lückenlose Aufklärung gefordert hatte, sagte nun: „Die Angehörigen, die Familie, die Freunde, die Betroffenen vor Ort, die viel Leid erlitten haben, sie alle haben darauf gesetzt, dass die Frage wirklich lückenlos aufgeklärt wird: Was ist geschehen? Wer ist schuld? Und nach dem Beschluss heute scheint das in weite Ferne zu rücken.“

Die Staatsanwaltschaft Duisburg will nun mit einer Beschwerde erreichen, dass es doch noch einen Strafprozess gibt. Nun muss das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden, ob die Katastrophe tatsächlich ohne strafrechtliche Folgen bleibt.