Drafting - oder wie sortiere ich 1500 Rinder, ohne verletzt zu werden?
Northern Territory. Es gibt einen zweiten englischen Ausdruck, den ich einführen muss: Drafting. Das steht direkt hinter dem Mustering, dem Bewegen von Vieh, und bezeichnet sozusagen das Sortieren von Vieh.
Wir haben die Herde, in der Tat 1500 Rinder, in zwei langen Tagen im Sattel in die Yards getrieben. Und jetzt wird gedraftet.
Dazu müssen die Rinder in einen schmalen Stahlgitter-Gang laufen, genannt Race. Nicht nur, weil an dessen Ende Stiere für den Verkauf, Kühe, einjährige Jungrinder und so weiter in verschiedene Richtungen hinausgelassen werden - sortiert eben. Sondern auch, weil sie dort mit einem Mittel gegen die fiesen Zecken eingesprüht werden und eine Injektion gegen den Mineralienmangel im kargen Buschland bekommen. Anständig für den Viehbestand auf einer australischen Cattle Station zu sorgen, ist eine Hundsarbeit.
Das Problem ist, dass die Rinder natürlich nicht wissen, was man ihnen Gutes tun will. Und dementsprechend wenig begeistert reagieren sie, wenn man sie in dieses enge Race hineintreiben will. Und das ist ausgerechnet mein Job heute. Mit einem Stock stehe ich am Rand des kleinen Yards vor dem Gittergang und schnauze die kleine Gruppe Kühe darin an.
Leere Gesichter, Desinteresse, vielleicht ein bisschen Verwunderung. Keine Bewegung. Eine Stunde später sieht das schon ganz anders aus. Jetzt habe ich den Bogen raus Wagemutig schlüpfe ich durch den Zaun direkt hinter die Rinder, hüpfe bedrohlich auf sie zu, gebe sonderbare Laute von mir - und angemessen erschrocken drehen sie sich allesamt um und rennen ins Race.
Leider ist der Job auf einer Cattle Station - wie ich erst lernte, als ich ihn schon angenommen hatte - statistisch gesehen der gefährlichste in ganz Australien und Wagemut wird immer und garantiert bestraft. Das merke ich wenig später, als ein junger Stier sich zwar angemessen erschrocken umdreht und ins Race rennt, zuvor allerdings noch mal erbost auskeilt und mich direkt in die Magengrube trifft, einen hübschen Hufabdruck auf meiner Haut hinterlassend.
Das allerdings wäre ja noch zu verkraften, würde nicht auch eine wirklich ehrbare Absicht bestraft. Als das Drafting sich nach endlosen Stunden - angefangen haben wir kurz nach Sonnenaufgang um sieben Uhr, jetzt ist es kurz nach sechs am Abend - dem Ende zuneigt, will ich ein neugeborenes Kälbchen einfangen, das nicht mit den anderen Kühen gelaufen ist, allein zurückblieb und jetzt verzweifelt nach Mama ruft.
Zusammen mit Jack habe ich gerade die letzten besonders störrischen Rinder Richtung Race getrieben - er zu Pferd, ich zu Fuß. Und ich habe noch gesehen, wie er das Tor hinter ihnen zuschwang. Was ich leider nicht mehr gesehen habe, ist, wie diese besonders unfreundliche schwarz-weiße Kuh, wieder durch das fast geschlossene Tor sprang und entschlossen durch zwei leere Yards in meine Richtung galoppierte.
Alles, was ich wahrnehme, ist ein schneller Schatten aus dem Augenwinkel - bevor mich ihr zum Glück hornloser Kopf mit voller Wucht in die Kehrseite trifft. Mal wieder die arme Kehrseite. Ich fliege vornüber. Dann ist alles nur noch Fluchtreflex: Ich schaffe es irgendwie auf die Füße und von dem durchdrehenden Vieh weg zum Zaun, ziehe mich in einem Affenzahn hoch und bin in Sicherheit.
Ich arbeite an diesem Tag trotz schmerzender Magengrube, Kehrseite und durchgeschütteltem Kopf bis zum Ende weiter. Der schwarz-weiße Teufel wirft mit seinem Dickschädel noch Jack vom Pferd, bevor er endlich im Race landet (am nächsten Tag wird diese Kuh übrigens ausreißen, schnurstracks durch einen Zaun rennen und auf Nimmerwiedersehen im Busch verschwinden - kein Verlust in meinen Augen).
Aber immerhin habe ich mal wieder einiges gelernt: Ich bin ganz schön hart im Nehmen, man sollte immer hinter sich schauen, und Lebenserfahrung tut manchmal weh. Vor allem aber: Jeder Reiseführer warnt zwar davor, dass die allergiftigsten, allergefährlichsten Lebewesen der Welt in Australien leben. Aber die Aggressivität von Kühen wird gemeinhin doch weit unterschätzt, wenn man mich fragt.