Zum Kicken in den Knast

Die Junioren des WSV Borussia spielten in der JVA Simonshöfchen gegen eine Gefangenen-Elf.

Wuppertal. Den Respekt vor dem Gegner können sie nie wirklich ablegen. Mindestens eine Halbzeit Anlauf benötigen die U19-Junioren des WSV, um sich in der fremden Umgebung halbwegs zurecht zu finden. Erst nach dem Pausentee weicht ein wenig die anfängliche Angst vor den Spielern, die in ihren weiß-blauen Trikots ein x-beliebiger Gegner auf einem x-beliebigen Platz der Republik sein könnten.

Doch der Aschenplatz im Inneren der Justizvollzugsanstalt (JVA) Simonshöfchen ist kein x-beliebiger Grund zum Kicken. Dafür ist das Umfeld zu unheimlich. Über dem 90 mal 45Meter großen Aschenplatz sind diagonal Stahlseile gespannt, die eine mögliche Fluchtaktion, etwa mittels eines landenen Hubschraubers, verhindern sollen.

Hinter einem Tor grenzt direkt die kalte Betonfassade von HausC, in dem nur jugendliche Strafgefangene einsitzen. Die sind froh über jede Abwechslung, lassen ihren Emotionen freien Lauf und brüllen durch ihre Sehschlitze ein paar Sprüche in Richtung der Mannschaften.

Doch dort nimmt kaum jemand Notiz von ihnen. Schon gar nicht ihre Mitgefangenen, die sich zum großen Teil aus Untersuchungshäftlingen rekrutieren. Alle sind konzentriert bei der Sache, nutzen die Chance, mal wieder Kontakt mit Leuten von "draußen" zu haben. Beim Kick gegen die WSV-Jugendlichen bleiben alle diszipliniert, keiner macht den anderen blöd an, nur weil er einen Fehlpass gespielt hat. Fouls sind die Ausnahme.

Knapp 540 Gefangene sitzen im Simonshöfchen, einem der sichersten Gefängnisse Deutschlands, ein. Laut Gesetz steht jedem Häftling täglich eine Stunde an der frischen Luft zu. "Sport ist sehr beliebt", sagt Ulrich Meerkamp, Sportübungsleiter der JVAWuppertal. Neben Fußball sind Tischtennis, Badminton, und Fitness im Angebot, zudem mehrere Laufgruppen, die zu festen Zeiten ihre Runden um den Platz drehen. "Viele haben Drogenprobleme, entsprechend schlecht ist ihr körperlicher Zustand", sagt Meerkamp.

Er hat an diesem Spätsommer-Abend "das Beste, was wir hier zurzeit haben" gegen den Junioren-Bundesligisten aufgeboten. In der ersten Halbzeit macht die zusammengewürfelte Mannschaft ein gutes Spiel, führt sogar durch einen Elfmeter mit 1:0. Meerkamp ist stolz auf seine Jungs, die zuschauenden Kollegen feixen ob des alles andere als souveränen Auftritts der jungen WSV-Kicker.

Bei denen macht sich der eine oder andere wohl zu viele Gedanken, wirkt gehemmt. Kein Wunder, wenn vor dem Spiel Fragen aufkommen wie: "Spielen da auch Mörder mit?"

Auszuschließen sei das nicht, sagt Meerkamp. Die Palette der Straftäter ist bunt gemischt. Mahmut Kuru (37), der im Mittelfeld versucht, das Spiel seiner Elf ein wenig zu lenken, muss wegen Körperverletzung noch zehn Monate abbrummen. Er hat mal beim SCSonnborn gekickt. "Wenn du 23 Stunden in der Zelle sitzt, sind solche Spiele eine willkommene Abwechslung, die wünsche ich mir öfter", sagt Kuru.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn mit Stephan Rinnow gibt es einen Justizangestellten im Simonshöfchen, der als Schiedsrichterbetreuer beim WSV über beste Kontakte verfügt und die Begegnung zusammen mit Michael Kuhn, dem A-Junioren-Koordinator des WSV, organisiert hat.

Derweil schwinden bei der JVA-Elf mit zunehmender Spielzeit die Kräfte. Trainer Meerkamp muss sich nicht rechtfertigen, tut es aber trotzdem. "Ich kann schließlich keine zehn Mann auswechseln wie der WSV." Mit der 1:6-Niederlage kann er am Ende gut leben, im vergangenen Jahr kassierte seine Mannschaft gegen die A-Junioren 19Gegentreffer.

WSV-Torhüter Joel Sczesny (17) bestätigt, dass bei manchem Mannschaftskameraden vor dem Spiel ein mulmiges Gefühl da war. Es ist sein zweites Spiel im Knast. "Ein hartes Erlebnis. Da überlegt man sich zweimal, ob man Mist macht."

Sein Trainer Alfonso del Cueto ist zunächst mächtig angefressen, ob der insgesamt schwachen spielerischen Leistung seiner Mannschaft. Die kann sich am nächsten Tag auf Straftraining einstellen. Wichtiger ist ihm aber dann doch der Lerneffekt für seine Jungs. "Die sollen sich die richtigen Freunde suchen und die Schule zu Ende machen", sagt del Cueto und verspricht, wiederzukommen.