Milliarden gegen Spekulanten

Wie der gigantische Notfallplan die Währungsunion retten soll.

Brüssel. Europas Finanzminister haben sich in einer turbulenten Sitzung auf ein gigantisches Notfall-Paket im Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro verständigt, um den Bestand der Währungsunion zu retten. Ökonomen haben ausgerechnet, dass damit alle angeschlagenen Euro-Länder wie Spanien, Portugal, Italien und Irland bis Ende nächsten Jahres über Wasser gehalten werden könnten, selbst wenn sie keinen Cent von privaten Kapitalgebern bekämen. Damit ist nach Ansicht der Regierungen die Gefahr einer Staatspleite und eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone erst einmal vom Tisch.

Von sofort an stehen der EU-Kommission 60 Milliarden Euro als Erste-Hilfe-Kasse für Notfälle zu Verfügung. Die EU-Behörde kann sich bis zu dieser Summe Geld auf eigene Rechnung leihen, um Euro-Staaten rasch Kredite zu gewähren, die kein Geld mehr zu akzeptablen Konditionen bei privaten Geldgebern wie Banken oder Fonds erhalten. Um die Klippe zu umschiffen, dass solche Finanzspritzen eigentlich nicht erlaubt sind, beruft sich die EU auf einen Ausnahme-Artikel für "Naturkatastrophen und außergewöhnliche Fälle". Ursprünglich hätten die Brüsseler Beamten gerne eine unbegrenzte Lizenz gehabt, aber die nationalen Regierungen wollten ihnen nicht noch mehr Spielraum überlassen.

Der 60-Milliarden-Euro-Not-Topf allein würde indes noch nicht alle Zocker abschrecken, die mit umstrittenen Wetten auf den Ruin ganzer Staaten und somit auf Kosten von Griechen, Portugiesen und - über die Hilfszahlungen - letztlich auch Deutschen und Franzosen Profit machen wollen.

Um die Spekulation auf Staatspleiten zu bremsen, müssen die Regierungen mehr Geld bereit halten. Deshalb haben sie sich ergänzend entschlossen, wenn nötig bis zu 440 Milliarden Euro einzusetzen. Und zwar als Garantien für eine gemeinsame Zweckgesellschaft, die quasi als Agentur für Schuldaufnahme fungiert. Über sie können Deutschland und seine 15Partner Wertpapiere verkaufen, für die alle Euro-Länder gemeinsam bürgen. Im Gegenzug fließt Geld in die Kasse, das wiederum klammen Ländern zu Gute kommen soll - über Kredite oder den Kauf von Anleihen.

Und damit noch mehr Kapital zusammenkommt, verspricht der Internationale Währungsfonds, bei Bedarf 250 Milliarden Euro draufzulegen. Natürlich müssen sich Staaten, die um Hilfe rufen, zu drastischen Sparanstrengungen nach dem Vorbild Griechenlands verpflichten.

Damit nicht genug. Außerdem ist die Euro-Notenbank nun doch bereit, Schuldscheine von Euro-Staaten wie etwa Portugal zu kaufen. Am Montag hat sie bereits damit begonnen. Das schafft eine größere Nachfrage nach solchen Anleihen und drückt die Zinsen - und damit die Kosten für Portugal, sich Kapital zu verschaffen. Allerdings kommt das Geld dafür nicht aus dem Nirgendwo, sondern von der Euro-Zentralbank, die dafür ihre Notendruckpresse anwerfen muss.

Da sich der Beitrag am EZB-Anteil der Euro-Länder bemisst, kommen auf Deutschland neue Bürgschaften von bis zu 123 Milliarden Euro zu - allerdings nur, wenn sich alle Euro-Länder an der Zweckgesellschaft beteiligen. Ansonsten steigt das deutsche Risiko. Der Betrag fällt zusätzlich zu den bis zu 22,4 Milliarden Euro für die Griechenland-Hilfe an.

750 Milliarden, das sind ausgeschrieben zwölf Stellen. Diesesgigantische Volumen des Notfallplans ängstigt - und ist gleichzeitigder entscheidende Trumpf gegen die Spekulanten. Prompt drehte am Montagdie Stimmung an den Börsen ins Positive, der panische Ausverkauf vonAnleihen und Aktien hatte ein Ende. Das Gespenst Staatsbankrott inGriechenland & Co. verflüchtigt sich. So gesehen war die nächtlicheEntscheidung von Brüssel richtig.

Andererseits fiel der Beschluss unter enormem Zeitdruck, weil er vorder ersten Börsenöffnung vorliegen sollte. Solche Hast kann zu Fehlernführen. Und die grundsätzlichen Nachteile sind brisant: Europa verstößtgegen seine Prinzipien, wirft die Notenpresse an und schürt dieInflation. Indem die Finanzminister auf eine Ausnahme-Erlaubnis, dieeigentlich nur für Naturkatastrophen gilt, zurückgreifen, legitimierensie das riskante Spiel. Sie bekämpfen alte Schulden schlicht mit neuenSchulden. Jeder Privatmann weiß, wie gefährlich das ist.

Gut gehen kann das höchstens, wenn die gefährdeten Staaten jetzt wenigstens mit ihren Sparbemühungen Ernst machen.

martin.vogler@wz-plus.de

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