Trotz Krise: „Kleine Freuden gönnen wir uns!“

Marketing-Experte Bernd M. Michael spricht über Werbung in Krisenzeiten.

Herr Michael, die Finanzkrise ist in der Realwirtschaft angekommen. Von der Flaute sind derzeit besonders Banken und Automobilhersteller betroffen - beides Branchen mit großen Werbeetats. Spüren die Agenturen bereits Kürzungen bei den Etats?

Michael: Es gibt von vielen Unternehmen noch keine Aussagen darüber. Volkswagen beispielsweise hat aber gesagt, dass die Budgets nicht zurückgenommen werden. Ich vermute aber, dass Autohersteller vor allem über neue Ideen nachdenken werden, mit denen sie die Verbraucher motivieren.

Michael: Die Autohersteller müssen den Kunden künftig die Frage beantworten, warum sie ihr sieben Jahre altes Auto besser gegen ein neues eintauschen sollen. Und dabei Geld sparen. Da gibt es gute Argumente, etwa Umweltaspekt und Verbrauch. Oder, dass neue Autos mit Null Anzahlung verkauft werden: Kaufe jetzt, zahle später - wird sicher ein verstärkter Trend. Vernunft-Themen und Substanz-Rechnungen werden die Autowerbung mehr als bisher bestimmen.

Michael: Das schicke Flitzen über die Autobahn, oder andere rein emotionale Auto-Erlebnisse, werden wir in der Werbung künftig weniger erleben.

Michael: Nein, das glaube ich nicht. Eine Überschrift, die im kommenden Jahr eine große Rolle spielen wird, heißt: "Große Freuden verschieben wir - kleine Freuden gönnen wir uns!" Gerade im Einzelhandel gehört ja vieles in die Kategorie ’kleine Freuden’. Der Verbraucher überlegt derzeit: Handele ich aus reiner Vernunft und Angst heraus und spare, oder gönne ich mir trotz der Krise gewisse Lustkäufe. Der Handel - von Lebensmittel bis Mode - muss die Kunden genau da abholen.

Michael: Ja, er wird intensiv um den Verwöhnkauf werben müssen. Leichter hat er es bei den Sparkäufen. Das wird im kommenden Jahr ein wichtiges Thema. Wir erleben eine Rückkehr zum "smart shopping", also mehr "Aldisierung".

Michael: Nein, so simpel wird es das nicht mehr geben. Die Leute bewegen sich weiterhin zwischen Aldi und Armani. Aber Schnäppchenkäufe wechseln sich mit "Ich gönn’ mir was"-Käufen ab.

Michael: Das ist die Frage des Jahres. Die Banken werden auf das zurückgehen, was ihre "Väter" einmal gemacht haben: Das solide, ehrliche, substantielle Bankgeschäft - und alles weglassen, was sie in Verdacht gebracht hat.

Michael: Die Banken werden wieder mehr in Glaubwürdigkeit investieren: mehr Transparenz, mehr Sicherheit, mehr Garantien. Und es wird einen anderen Ton im Dialog mit dem Kunden geben.

Michael: Ja, aber wir haben in Deutschland einen geteilten Markt. Sparkassen und Volksbanken sind ja indirekt ’Profiteure’ der Krise. Zu denen sind viele Kunden mit Geld gekommen und haben es dort neu angelegt.

Michael: Sehr klug, sie greifen diesen Trend des hohen Vertrauensbonus auf.

Michael: Nein, überhaupt nicht, weil die Firmen genau wissen, dass sie präsent sein müssen in einer Zeit der Verdrossenheit. Sie müssen den Verbraucher mit Argumenten füttern, warum er eine Kaufentscheidung treffen soll.

Michael: In der Krise 2001 hat Boston Consulting eine Studie herausgebracht über Firmen, die sich antizyklisch verhalten haben und damit sehr erfolgreich waren. An solche Beispiele gilt es sich nun zu erinnern.

Michael: Wir müssen mit einer Stagnation rechnen. Aber: Es gibt keine allgemeinen Konjunkturaussagen mehr. Es gibt keine Gesamtkonjunktur und keine Branchenkonjunktur mehr. Es gibt nur noch Firmenkonjunkturen. Die Werbebranche wird mehr Kreativität und Intelligenz einsetzen. Sie wird mehr Arbeit haben, um Lösungen zu produzieren, leider manchmal auch ohne mehr Geld dafür zu bekommen.