Vorst Gedenken an ehemalige Mitbürger

Vorst · Auf dem jüdischen Friedhof in Vorst wird am 27. Januar an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

Das Tor zum jüdischen Friedhof ist normalerweise geschlossen. Die Friedhofverwaltung hat für die WZ eine Ausnahme gemacht, bevor es am Sonntag zum Gedenken erneut geöffnet wird.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

. Die Schneedecke verleiht diesem Ort der Stille noch mehr Ruhe als er ohnehin ausstrahlt. Nur ein paar frische Spuren von Kaninchen sind auszumachen. Gegen die Kälte an diesem Wintermorgen zwitschern ein paar Vögel an. „Waldfriedhof“, der Name passt zu dem ehemaligen jüdischen Friedhof Vorst. Die Idylle ist so einnehmend, dass die historische Rückschau an der Infotafel neben dem Eingangstor kaum gelingen will.

Am Sonntag rückt dieser Platz wieder in den Mittelpunkt. Die Erinnerung hat ein Datum. Seit 14 Jahren ist der jüdische Friedhof in Vorst am 27. Januar Ort für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch am kommenden Sonntag, um 11 Uhr.

„Der jüdische Friedhof in Vorst hat mich schon früher immer interessiert“, sagt der Vorster Peter Joppen. „Er liegt so verborgen, außerhalb des Ortes. Ich bin früher oft mit dem Rad hingefahren.“ Der Friedhof habe gepflegt gewirkt, aber auch ein wenig trostlos.

Begräbnisstätte war er bis in die späten 1930er Jahre. Damals gab es dort 13 Grabstätten. Am 11. Juli 1940 wurde der Friedhof von Unbekannten verwüstet. Grabsteine wurden später zum Bau der Leichenhalle am ehemaligen Krankenhaus verwendet. Heute weiß niemand, ob es noch Steine gibt und wo sie sind. Sie sind nicht mehr aufgetaucht.

In den ersten Jahren fand die Gedenkveranstaltung, die 1996 vom Bundespräsidenten eingeführt wurde, in St. Tönis statt. Man versammelte sich an der Stelle gegenüber dem Krankenhaus, wo früher die Synagoge stand.

„Pfarrer Bernd Pätzold, Wilma Jansen, Hubert Klein und ich haben das Gespräch mit Albert Schwarz, der damals Bürgermeister war, gesucht, und den Vorschlag gemacht, die Gedenkfeier auch in Vorst zu halten, um auch das jüdische Leben in diesem Stadtteil in den Fokus zu rücken“, sagt Joppen.

Seit 2005  findet nun in Vorst das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus statt. In St. Tönis versammeln sich Bürger jedes Jahr am 9. November, um an die Geschehnisse und Opfer der Reichspogromnacht 1938  zu erinnern.

 1861 ist der jüdische Friedhof am Strombusch (heute Gotthardusweg zwischen Oedter Straße und Haus Neersdonk) entstanden. Beantragt hatten den „Begräbnisplatz für die Israeliten in Vorst“ Leopold Willner, Emanuel Lehmann, Herz Rosendahl und Joseph Horn. Zuvor waren verstorbene Vorster Juden auf dem jüdischen Friedhof in Anrath, zeitweilig auch auf dem in Kempen beerdigt worden.

Sechs Familien lebten zu
Beginn der NS-Zeit in Vorst

Die Vorster Juden gehörten seit 1847 zur Synagogengemeinde Anrath, ab den 1930er Jahren dann zu St. Tönis. Zu Beginn der NS-Zeit lebten sechs jüdische Familien in Vorst.

In Vorst gab es keine Synagoge, aber einen Betraum. Der Kaufmann Emanuel Lehmann stellte ihn in seinem Haus, Süchtelner Straße 48, zur Verfügung. In St. Tönis war nach 1900 ein Grundstück gekauft worden, um für die auf 17 Familien angewachsene Gemeinde St. Tönis eine Synagoge zu errichten. Im August 1907 wurde der schlichte Neubau an der Wilhelmstraße, heutige Kolpingstraße, eingeweiht.

„Über die Jahre ist das Interesse an der Gedenkveranstaltung in Vorst größer geworden“, sagt Joppen. Der Initiativkreis „Stolpersteine für Vorst“ in enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft des Michael-Ende-Gymnasiums habe das Interesse weiter gesteigert. Junge Menschen seien für das Thema sensibilisiert.

Mittlerweile sind vor Wohnhäusern in Vorst 23 Gedenksteine mit den Namen der Opfer ins Pflaster eingelassen, unter anderem zwölf an der Clevenstraße. Und vor Steinpfad 4. Der Stolperstein dort erinnert an Hermann Katz, einen Textilwarenhändler aus Vorst. Bei der Pogromnacht 1938 wurde er derart verletzt, dass er im Februar 1939 an den Folgen starb. Er war wahrscheinlich der letzte Jude, der auf dem sogenannten „Waldfriedhof“ bestattet worden ist. Das ist fast 80 Jahre her.

Einen Stein gibt es auch für Julia Horn, 1860 in Vorst geboren. Sie wohnte an der Lindenallee 23. Im Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und dort am 27. August 1942 ermordet.

Ein weiterer Stolperstein erinnert an Johann Bossinger, einen KPD-Funktionär. Er wohnte an der Dellstraße 17. Bossinger wurde 1933 verhaftet, saß ein Jahr in Anrath im Gefängnis – ohne Anklage und Prozess. 1934 wurde er entlassen. Nach dem Ende des Krieges engagierte sich wieder in der Gewerkschaft und im Vorster Gemeinderat. Christel Tomschak, seine Tochter, sagte bei der Stolpersteinverlegung: „Mein Vater war ein Kämpfer für eine bessere, friedliche Welt. Ich bin stolz und dankbar, dass er mein Vater war.“

Ende September 2018 ist Christel Tomschak, die sich zeitlebens für ein friedvolles, respektvolles Miteinander und gegen Rassismus und Gewalt eingesetzt hat, gestorben. Die Vorsterin hatte sich dem Kampf gegen das Vergessen des Nazi-Terrors verschrieben. „Sie war jedes Mal in Vorst dabei, hat immer gesagt, das Gedenken muss auch in den Ort“, sagt Peter Joppen. Die Erinnerung an sie wird am Sonntag in Vorst wach sein. Ihr Engagement wirkt nach. Lebendig halten müssen es andere.