Lust, Liebe, List und Gewalt in der Antike
Uraufführung: Jubel über Hans Werner Henzes Konzertoper in der Staatsoper Unter den Linden.
Berlin. 81-jährig erscheint der Komponist Hans Werner Henze nun mit einem Werk auf der Opernbühne, das vor jugendlicher Kraft und sinnlicher Lebensfreude strotzt. Die Konzertoper "Phaedra", jetzt an der Berliner Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt, war ein herausragender Erfolg. Die Koproduktion mit Frankfurt wird danach noch in Brüssel und Wien gezeigt.
Immer schon fühlte sich Henze von mythologischen Stoffen angezogen, nun geht er zu den Ursprüngen unserer Zivilisation. Aus dem Labyrinth des Minotauros entsteigen wilde Gestalten, rachsüchtige Götter, von ihren Leidenschaften getriebene Menschen. Der Lyriker Christian Lehnert hat ihm ein von dunklen Bildern getragenes Libretto geschrieben. Hier geht es nicht um dramatische Konflikte, sondern um das Heraufbeschwören unentrinnbarer Verhaltensmuster.
Phaedra ist, angestachelt von Aphrodite, in ihren StiefsohnHippolyt verliebt, doch dieser interessiert sich nur für die Jagd und die Göttin Artemis. Gekränkt schwärzt sie ihn bei Theseus an, der Poseidon herbeiruft, um seinen Sohn zu töten - worauf Phaedra sich erhängt. Diese karge Fabel wird im ersten Akt konzise erzählt, um dann von Griechenland in die römische Welt hinüber zu wechseln.
Hier, am See von Nemi, erschafft Artemis aus den Gliedern des toten Helden eine Kunstfigur, die sie als Virbius zu einer neuen Gottheit stilisiert. Phaedra und Aphrodite finden ihn, umschwirren ihn in Vogelgestalt und wollen ihn erneut gewinnen. Er sagt sich endgültig von ihnen los und regiert fortan als König der Wälder in seinem eigenen Reich.
Regisseur Peter Mussbach versucht nicht, diese vielschichtige Handlung zu bebildern. Er geht von der Konzertsituation aus. Das Ensemble Modern unter Michael Boder wird im Zuschauerraum platziert. In Abendgarderobe begeben sich die Sänger von dort zum Bühnenraum. Der dänische Künstler Olafur Eliasson zieht uns mit ganz einfachen Mitteln in das Geschehen hinein. Wandernde Lichtkreise, elementare Hell-Dunkel-Kontraste, Wind- und Regengeräusche weisen weit über den aktuellen Raum hinaus. Ein lichtzerteilendes Kaleidoskop taucht das Geschehen in eine kosmische Welt.
Henze arbeitet mit einem nur 25-köpfigen Orchester, die Musiker spielen teilweise mehrere verschiedene Instrumente. Jeder Akt wird aus einer Zwölftonreihe entwickelt, die er mit großer Freiheit behandelt. So mischt er klassische Formenstrenge mit farbiger Klangvielfalt. Besonders bei den Vokalstimmen bewährt sich diese Methode, weil er jeder Seelenregung einen eigenen Ausdruck verleihen kann.
Maria Riccarda Wesseling (Phaedra) und Marlis Petersen (Aphrodite) bewältigen ihre diffizilen Partien mit bewundernswerter Leichtigkeit und hocherotischem Spiel. John Mark Ainsley bietet ihnen als Hippolyt mit tenoraler Souveränität ein ebenbürtiges Gleichgewicht. Schwer hat es Axel Köhler bei makelloser Stimmführung mit der Zwitterfigur der Artemis, während Lauri Vasar als Minotaurus unbeirrbar die Basslagen vertritt.
Ein großer, wenn auch schwieriger Opernabend. Musik, Regie und Raumgestaltung laufen wie Parallelwelten nebeneinander her. Der Zuschauer ist gefordert, selbst die Verknüpfungen herzustellen. Ist er dazu bereit, wird er überreich belohnt.