Rheinoper: Gezimmert statt Gezaubert - Pelléas und Mélisande“ von Claude Débussy
Christof Nel inszeniert in Düsseldorf „Pelléas und Mélisande“ von Claude Débussy.
Düsseldorf. Das musikdramatische Meisterwerk des 20. Jahrhunderts schlechthin, "Pelléas und Mélisande" von Claude Débussy (1862-1918), ist eine der heikelsten Opern überhaupt. Geboren im Zeitalter von Fin de siècle, Symbolismus und Impressionismus, strebt hier alles nach Auflösung, Metamorphose, nach ständiger Umdeutung und Verwandlung. Nichts ist greifbar, wie Jean-Pierre Ponnelle es an diesem Haus Ende der 70er Jahre so vortrefflich zeigte, alles ein Rätsel. Die Literaturoper nach der Vorlage des belgischen Autors Maurice Maeterlinck schildert wie keine andere das Mysterium des Gesprächs mit dem Unbekannten der unsichtbaren Welt.
Ein Traumspiel also. Indes sehen wir in der ersten Premiere in der runderneuerten Düsseldorfer Rheinoper etwas völlig Entgegengesetztes, nämlich die Handwerksarbeit eines Zimmermanns und eben nicht die Geheimnisse eines Zauberers. Jens Kilians Einheitsbühne atmet brutale Erdenschwere: ebenerdig braunschwarze, mannshohe Holzvertäfelung, dahinter steinerne Schlosshallen, auf der Spielebene darüber das Krankenlager von Golauds Vater und ein langer Speisetisch. Hier herrscht Finsternis statt Geheimnis, schiere Materialität statt der von Débussy musikalisch erzählten Mysterien. Dass die Bühne unter Wasser steht, so dass für die Handelnden nur Stege bleiben, um sich zu erreichen - genügt das als Bild für die Unerreichbarkeit?
Christof Nels Interpretation und Personenführung suggerieren eher eines der Strindbergschen Psycho-Ehedramen als das Ungreifbare und Unfassbare, das das Rätsel Mélisande ausmacht. Ohne Auskunft über sich geben zu können oder zu wollen an einer Quelle aufgelesen, von ungekannter Erinnerung geängstigt, ist sie "nicht von dieser Welt", wie es mehrfach heißt. Nels gutgemeintes Bemühen zu erklären, geht dort fehl, wo selbst die Frage vermieden ist. Dass die Personen sich immerfort in weiter Entfernung umkreisen und nur selten einmal berühren, zählt zu den psychogenen Pelléas-Platitüden.
Schon Ilse Welters hanebüchenen Kostüme offenbaren das bei allem Bemühen doch kolossale Missverständnis. So kommt Mélisande mit pinkfarbener Bluse, grasgrünem Rock und braunen Stiefeletten daher - wie ein Mädchen vom Lande oder aus der Gosse, Pelléas wie aus der Talkshow in Weiß und ebensolchen Turnschuhen. Golaud ist ein randlos bebrillter Intellektueller im Anzug vom Maßschneider und starrt immer wieder in seine blutverschmierten Hände. Wobei der fundamentale Irrtum bereits im Ansatz beruht, dieses schwebende Gespinst psychologisch ausdeuten zu wollen: Mélisande als Hysterikerin, die in der zarten Liebesszene mit Pelléas auch noch unerträglich ordinär auftrumpft, Golaud als tobsüchtig rasender, dann in sich versackender manisch-depressiver Mörder.
Wie anders gelingt die Musik! Der Wiener Dirigent Andreas Stoehr und die Düsseldorfer Symphoniker mit wohllautenden Bläsern, Streichern und der feinen Harfe erschaffen einen farbsatten, facettenreich fein schillernden Klangteppich, zwischen Dur und Moll changierend wie eine impressionistische Tapisserie. Hier ist er, der revolutionäre Aufbruch in Gestalt der Débussy’schen Klangfelder - auch dort, wo das Höchstmaß an Erhitzung glüht. Exzellent auch die Sänger: die stimmgewaltige Sopranistin Catrin Wyn-Davies als ständig fliehende Mélisande, der klangschöne Tomasz Konieczny mit kraftvoller Bruststimme und Dmitri Vargin als wunderbar lyrischer Pelléas. Einen Sonderapplaus verdient die Sopranistin Léa Pasquel, Mitglied des Jungen Ensembles, die den kleinen, von Wahnideen und Spuk verängstigten Yniold nachgerade schauerlich spielt und singt. Das Premierenpublikum war hingerissen.
3 Std., 1 P., Auff.: 19., 22., 28.9., Karten: Telefon 0211/892 52 11