Schauspiel in Wuppertal: Goethe mit einem Schuss Musical
Die Wuppertaler Bühnen zeigen den „Urfaust“ mit viel Musik.
Wuppertal. Wieviel Musical braucht Goethe? Die Wuppertaler Inszenierung des "Urfaust" von Christian von Treskow braucht zehn Songs, die mühsam ins Englische übersetzten Goethe-Gedichte eingeschlossen, um das Fragment zeitgemäß aufzupeppen (Musik: Sebastian Weber). Ob das provokant sein soll wie die Sturm- und Drang-Zeit bürgerlichen Kulturaufbruchs, aus der der Goethe-Entwurf stammt, oder ob es ein Zugeständnis an die leichtere Konsumierbarkeit der als trocken gescholtenen klassischen Literatur ist, bleibt die Frage.
Der Provokation fehlt einiges: Warum der Griff in die Mottenkiste des Pop hin zu Jimi Hendrix, Folkballade oder Kuschelrock? Das wühlt heute niemanden mehr auf. Dann doch lieber die klangvolle Goethe-Sprache auf Deutsch rappen wie im Hip-Hop oder düster grölen wie im Industrial Rock von Rammstein. Und wenn Provokation und "Neue Deutsche Härte" angesagt wären, warum dann ein blond bezopftes Gretchen?
Nicht konsequent genug spielt von Treskow die Aktualisierung und Transformation in die Gegenwart aus. Denn im Grunde will er mit großer Ernsthaftigkeit mit dem kulturellen Erbe umgehen: Sehr textnah arbeitet er, mit schlüssigen Szenenfolgen, lebendiger Personenregie und einem Bühnenbild (Jürgen Lier), das mit seinen Spielzeug-Häuschen an die frühe Form des Faust-Stoffes als Puppenspiel erinnert.
Das große Plus freilich ist die exzellente junge Schauspieler-Garde. Allen voran Thomas Braus als Faust, dem man sowohl den zur höchsten Erkenntnis quälend Strebenden als auch den ehrlich Liebenden vorbehaltlos abnimmt. Dass er viel weiß und immer mehr wissen will, macht ihn anfällig für das Überschreiten der Grenzen bis ins Reich der Magie. Die Musik findet hier die Parallele: Zappelnde Glieder wie im Veitstanz und psychedelisches Zucken.
Kein Wunder, dass Faust dem kommunikativen, sprachgewandten, gebildeten, aber sarkastischen und frivolen Mephistopheles mit Haut und Haaren verfällt. Andreas Möckel gibt ihn, ausstaffiert mit hohem Filzhut auf dem Zottelhaar, Weste, Gehrock und straffen Gamaschen (Kostüme: Dorien Thomsen). Er ist der "Geist, der stets verneint" mit sympathischer Ehrlichkeit und gleichzeitig ironischer Distanz, als schelmischer Verführer und Witzbold mit schleimiger Anbiederung, dass man den geschniegelten Parvenü des vorletzten Jahrhunderts ebenso wieder zu erkennen glaubt wie den neureichen Großindustriellen oder eiskalten Manager der Jetztzeit.
Trotz ihrer Blondzöpfe ist Olga Nasfeter ein überzeugendes Gretchen. Zerrissen zwischen kindlicher Naivität und Gläubigkeit, tiefer Liebe, sexueller Begierde und eingebunden in gesellschaftliche Konventionen tötet sie ihr Kind und stellt sich verwirrt dem Tod.
Die flotte Marthe (An Kuohn) ist ihr Gegenentwurf: Kaum hat ihr Mephisto den Tod des Gatten glaubhaft gemacht, schäkert sie unmissverständlich mit ihm, robbt lasziv mit breit geöffneten Beinen am Bühnenrand. Faust bleibt der große Einsame. Gebeugt karrt ihn Mephisto auf seinem Rad fort. Fazit: Ein großer Goethe-Abend, der auf Musik gut verzichten könnte.
2 ½ Stunden, 1 Pause, Auff.:: 23.9., 18 Uhr, 4.10., 19.30 Uhr; Karten unter Tel.: 0202/5694444