André Kertész: Maler mit der Kamera
Berlin (dpa) - Seine Fotos sehen aus wie sorgsam komponierte poetische Gemälde: ein Schwimmer im marmorierten Wasser, eine traurig hängende Tulpe, surrealistisch verzerrte Frauenkörper. Der ungarische Fotograf André Kertész gilt als einer der eigenständigsten Vertreter der klassischen Moderne.
Der Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt jetzt erstmals eine umfassende Retrospektive des großen Einzelgängers - erarbeitet vom Museum Jeu de Paume in Paris.
Bis zum 11. September sind mehr als 300 Fotos zu sehen - meist Originale aus der Zeit (Vintage Prints), Kontaktabzüge oder vom Künstler beglaubigte Reproduktionen. „Unser Ziel war es, Abzüge zu zeigen, die so nah wie möglich am Entstehungsdatum des Negativs dran waren“, sagte Kurator Michel Frizot. Der Nachteil: Viele der Fotos sind winzig klein, wenn auch großzügig gerahmt und schön gehängt.
Der Betrachter wird auf einen Weg durch das wechselvolle Leben des André Kertész geschickt. 1894 als Sohn eines jüdischen Buchhändlers in Budapest geboren, zieht der im Ersten Weltkrieg schwer verwundete Künstler 1925 nach Paris. Bald wird er dort als ein Aushängeschild der fotografischen Avantgarde gefeiert. 1936 emigriert er in die USA, wo ihm jedoch lange die Anerkennung versagt bleibt. Er verdingt sich bei einer Wohnungszeitschrift („Sklavenarbeit“) und fängt erst nach seiner Pensionierung bis zu seinem späten Tod 1985 künstlerisch nochmals ein neues Leben an.
Bezeichnend für Kertész sei zeitlebens seine Unabhängigkeit und künstlerische Vielfalt gewesen, sagt Kurator Frizot. „Er macht keine Strömung mit, er ahmt niemanden nach und er wiederholt sich nicht.“ Schon in Ungarn entstand das Bild „Schwimmer unter Wasser“ (1917), mit dem Kertész Fotogeschichte schrieb. Später folgten bekannte Arbeiten wie „Blinder Musiker“ (1921), „Satirische Tänzerin“ (1926) sowie „Arm und Ventilator“ (1937).
„Ich dokumentiere nicht. Ich interpretiere, was ich sehe“, sagte der Künstler einmal. Mit diesem Anspruch wird er auch zu einem Vorreiter der Fotoreportage. Nach dem Besuch eines Trappistenklosters im französischen Soligny entstanden für die Illustrierte VU mehr als 30 große Bildgeschichten.
In der Ausstellung sind besonders eindrucksvoll die Aktfotos „Verzerrungen“ dokumentiert, bei denen er seine Modelle mit Zerrspiegeln surrealistisch verfremdete.
Für den Martin-Gropius-Bau sei die Schau eine besondere Freude, sagte Direktor Gereon Sievernich. Kertész kehre damit praktisch nach Berlin zurück. 1929 waren im Rahmen der Ausstellung „Film und Foto“ schon einmal Werke des Künstlers im Lichthof des renommierten Hauses zu sehen.