Berlins Kreativszene setzt auf Kunsträume
Berlin (dpa) - Manchmal fragt sie sich im Vorbeigehen, was dieser leere Raum eigentlich soll. Die kleine Frau - grauer Kurzhaarschnitt, Einkaufstüten links und rechts - steht in Berlin auf dem gepflasterten Bürgersteig und schaut durch eine Fensterscheibe.
Dahinter sind nur kahle Wände, auf dem Boden stehen eine Holzleiter und ein alter Schultisch. Sonst nichts. „Naja, sieht ja interessant aus. Aber was soll's?“, fragt die Frau.
Wenn sie klopfen würde, Nuno Vicente (32) könnte es ihr erklären. Seit zwei Jahren betreibt der Portugiese mit einer Freundin in Neukölln den Kunstraum „João Cocteau“. Nur das schicke Logo an der Tür verrät, dass hier nicht renoviert wird. Alle paar Wochen verwandelt sich der leere Raum für wenige Tage zur Ausstellung. Dann stehen nachts Leute auf der Straße, drinnen gibt es Drinks und verrückte Objekte. Solche Kunst- und Projekträume poppen in Berlin immer wieder auf wie aus dem Nichts.
Sind das einfach kleine Galerien? „Es gibt keine einheitliche Definition dafür“, sagt Thea Dymke vom Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler. Der Unterschied zur Galerie sei wahrscheinlich die „Gewinnerzielungsabsicht“. So nennt das die Fachfrau. Galerien wollten Geld verdienen. Kunsträume seien eher Non-Profit-Einrichtungen, meint auch die Geschäftsführerin vom Landesverband Berliner Galerien, Anemone Vostell. „Die sind eher interessiert am Diskurs.“
Nach Schätzungen des Bundesverbands gibt es Projekträume vereinzelt auch in Hamburg, Köln oder München. In Berlin sollen es mehr als 100 sein. „Es gibt weltweit keine Stadt, die so viele Kunsträume besitzt“, meint Tiny Domingos (46) vom Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen. Oft würden Immobilien gemietet, die auf dem Markt schwer zu vermitteln seien. Alte Ladengeschäfte in Neukölln oder im Wedding zum Beispiel. Aber die Mieten steigen auch dort. „Wir sind stark bedroht, weil die Immobilienpreise explodieren“, warnt der Künstler, der selbst einen Projektraum betreibt.
Zurück in Neukölln. Im Kunstraum von Vicente und seiner Kollegin Marisa Benjamim (33) stellen immer mal andere Künstler aus. „Wir sind ja nicht abhängig vom Markt. Wir können genau die Formate ausprobieren, die wir machen wollen“, sagt der junge Mann mit dem Bart. Während des Gesprächs hallt es im Raum. Früher sei dort ein Kindergarten gewesen. Heute haben sie in den Hinterzimmern ihre Ateliers. Sie bauen Installationen aus Holz oder auch kleinteilige Objekte mit Löffeln und Kordel. „Den Kunstraum können wir für Events nehmen, zum Teilen mit anderen“, sagt Marisa Benjamim.
Zwei Straßen weiter steht auch Eriko Yamazaki (32) in einem Raum mit weißen Wänden. Das Mauerwerk liegt an manchen Stellen offen, Farbe ist vor einiger Zeit auf den Boden getrieft. Mitten im Zimmer steht eine Metallskulptur - bei der Ticketmaschine kann man kleine Zettel mit Koordinaten von Orten überall auf der Welt ziehen. Auf Holzbalken liegen feine Schalen, Leinwände hängen an der Wand. Wo die Bildhauerin Yamazaki sonst mit anderen ein Atelier teilt, ist für ein einziges Wochenende ein öffentlicher Projektraum entstanden.
Im Nebenraum verteilen Leute Bier, ständig kommen Menschen herein. Fast 20 Künstler stellen dort aus. „Es ist ein bisschen lockerer als eine offizielle Galerie oder ein Museum“, sagt Yamazaki. Die meisten von ihnen haben noch Nebenjobs, in Restaurants oder auf Märkten zum Beispiel. Auch mit kleinen Bars in den Kunsträumen versuchen Künstler, ein wenig Geld zusammenzubringen. In aller Regel zahlen sie selbst für die Ausstellungsräume, manchmal trotz kleiner Einkommen. Domingos vom Netzwerk sagt: „Es ist sehr viel eigene Ausbeutung.“