Blick hinter die Fassade: Von Picasso bis Baselitz
Marseille (dpa) - „Soll man malen, was auf einem Gesicht ist, in einem Gesicht oder hinter einem Gesicht?“ Pablo Picasso hat sich diese Frage gestellt, auf die nun eine Ausstellung in Marseille antwortet.
Unter dem Titel „Gesichter, Picasso, Magritte, Warhol...“ präsentiert die Vieille Charité am Alten Hafen 150 Werke, die zeigen, was sich hinter der Darstellung menschlicher Gesichter und Porträts versteckt: der Blick auf sich selbst und auf andere. Die Arbeiten stammen von 97 Künstlern, darunter finden sich viele deutsche Namen wie Georg Baselitz, Gerhard Richter, Max Ernst, Otto Dix und Oskar Schlemmer.
Gezeigt wird Zeitgenössisches und Modernes, denn erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die psychologisierende Darstellung von Gesichtern das Porträt als Selbstinszenierung verdrängt. „Die Kriege, die Industrialisierung, der Fortschrittsglaube und die zunehmende Individualisierung haben die Welt im 20. Jahrhundert völlig verändert. Der Blick auf sich und die anderen hat sich gewandelt“, erklärte Christine Poullain, die Leiterin der Museen von Marseille, zur der auch das ehemalige Kloster La Vieille Charité gehört. Gesichter seien nicht mehr nur Abbildung des äußeren Erscheinungsbildes mehr, sondern Ausdruck und Spiegel der gesellschaftlichen und individuellen Seele.
Marionetten, rätselhafte Fratzen, gespenstische Erscheinungen, flüchtige Schatten und Masken füllen die Säle des Museums. Von George Grosz ist das Bild „Kurfürstendamm“ zu sehen, auf dem elegant gekleidete Menschen mit geschlossenen Augen und bewegungslosen Gesichtern an einem verkrüppelten Soldaten vorbeigehen. Sie bringen eine große Leere zum Ausdruck sowie Gleichgültigkeit dem Schicksal des Anderen und der Welt gegenüber. Das Werk „King of the Zulus“ des Afroamerikaners Jean-Michel Basquiat bildet schematische Totenköpfe ab, die hier für das Schrecken der Schwarzen in New York stehen. Alberto Giacomettis filigrane Skulptur „Die Frau von Venedig III“ soll illustrieren, was übrig bleibt, wenn man den Menschen seiner Hülle entledigt.
Darüber, ob alle Bilder in der bis zum 22. Juni dauernden Ausstellung unter dem Titel Gesichter ihren Platz haben, lässt sich streiten, wie im Fall der Frauenskulptur von Giacometti, der in seinen Frauenakten seine Experimente mit der Distanz zum Ausdruck bringt. Doch bleibt das Werk eine Arbeit von Meisterhand, wie viele der Exponate. Das Museum präsentiert ein weit gefasstes Thema. Das erlaubt einerseits, die verschiedensten Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu vereinen wie die Neue Sachlichkeit, den Kubismus oder den Surrealismus. Gleichzeitig birgt es aber die Gefahr, aus dem Ruder zu laufen.
Picasso, Tony Cragg, Francis Bacon, Andy Warhol, Pierre Bonnard, Hans Bellmer, Victor Brauner und René Magritte: Selten waren in der Vieille Charité so viele international bekannte Künstler vereint. „Wir hoffen, an dem Elan von 2013 anzuknüpfen“, sagte die Leiterin. Die letzte Ausstellung großer Namen fand im Sommer statt. Sie vereinte im Palais Longchamp unter dem Titel „Das Atelier des Südens“ einige der bedeutendsten Impressionisten und zog rund 220 000 Besucher an.