Magisch entrückt: Vor 125 Jahren wurde Chagall geboren
Paris (dpa) - Fliegende, blumenumkränzte Paare, Gaukler auf Pferden und Kühe auf Dächern: Der französische, russisch-jüdische Maler Marc Chagall inszenierte eine magisch entrückte Welt. Seine Bilder gehören zu den am meisten reproduzierten und am häufigsten ausgestellten Werken, fast jeder kennt sie.
Chagall, der vor 125 Jahren geboren wurde, hat farbenprächtige Kompositionen geschaffen, die auf den ersten Blick geheimnisvollen Märchen gleichen, deren Botschaften sich erst bei genauem Hinsehen entschlüsseln. Seine symbolträchtigen Hauptmotive stammen überwiegend aus der Bibel und der Zirkuswelt.
Chagall - am 7. Juli 1887 als ältestes von neun Kindern in Witebsk (Weißrußland) geboren - wird oft als Maler-Poet bezeichnet, wogegen er sich stets wehrte. „Wenn ich in einem Bild den Kopf einer Kuh abgeschnitten und verkehrt aufgesetzt habe oder manchmal das ganze Bild verkehrt herum male, so habe ich es nicht getan, um Literatur zu machen. Ich will in mein Bild einen psychischen Schock hineinbringen“, sagte Chagall, der auch viele Kirchenfenster gestaltete, über seine Kunst.
Der Maler, der am 28. März 1985 im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence starb, hat ein umfassendes Werk hinterlassen, in dem er sich formal zwar an den verschiedensten Kunstrichtungen der Moderne maß, sich jedoch nie festlegte. In Paris, wo er sich im September 1910 niederließ, begann er zunächst mit Aktstudien und näherte sich über seinen Landmann Chaim Soutine den Fauvisten an. Er begegnete den Avantgardisten des Montparnasse wie den Dichtern Guillaume Apollinaire, Blaise Cendrars und den Malern Robert Delaunay, Albert Gleizes, Fernand Léger und nahm an den künstlerisch-literarischen Zirkeln der Kubisten teil.
Dennoch schloss sich Chagall, der in St. Petersburg Kunst studierte, keinem von ihnen an. Später schrieb er in seiner Autobiografie „Mein Leben“: „Hier trat ich voll ein (.) keine Akademie hätte mir all dies geben können, was ich entdeckte, als ich mich in die Ausstellungen von Paris, in die Schaufenster der Galerien, in seine Museen verbiss.“ In Paris fand er die Anregung, die er sich für seine Kunst erhofft hatte.
1914 reiste er aus persönlichen Gründen wieder nach Russland zurück. Während seines Aufenthaltes brach jedoch der Erste Weltkrieg aus, die Grenzen wurden geschlossen. In dieser Zeit malte er seine Wirklichkeit: Soldaten, seine Familie, Straßenszenen und die Landschaft um Witebsk. Von 1923 bis 1941 lebte der Künstler wieder in Paris, danach flüchtete er mit seiner Familie in die USA, bevor er im Sommer 1948 wieder endgültig nach Frankreich zurückkehrte. Seine geliebte Frau Bella starb 1944 in den USA - viele Bilder des Künstlers sind geprägt von der Sehnsucht nach ihr.
In Chagalls Werken tummeln sich Formen, die der klassischen Bildsprache zuwider laufen: Schwebende Kühe, Geiger, die auf Dächern spielen, aber auch blutende Ochsen über schneeweißen Landschaften und Jesus Christus über brennenden Kerzen. Sie sind in seiner Fantasie entstanden und in Erinnerung an seine Heimat - so wie der Geiger, der traditionell die jüdischen Hochzeitsgesellschaften anführt oder die Ochsen und Kühe aus seiner Kindheit auf dem Land.
In seinen Kompositionen sind Biografisches, jüdische Tradition, Zeitgeschehen und christliche Thematik eng miteinander verflochten. In dem bereits 1923 begonnenen und 1947 nach seinem Amerika-Aufenthalt vollendeten Gemälde „Der Engelsturz“, in dem ein roter Engel kopfüber in die Tiefe stürzt, kommen Schmerz und Hoffnung zum Ausdruck, wie oft in seinen Kompositionen. Dem vor Schmerz brüllenden Ochsen, dem fliehenden Juden mit der Thora und dem gekreuzigten Märtyrer steht das Licht gegenüber: brennende Kerzen und eine Sonne, die die Finsternis vertreibt.
So war Chagall in seinem langen Schaffen stets ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten: Maler-Poet, Fantast, Zeitzeuge, Alleingänger und Mystiker, der in Zeiten weltweiter Tragödien nach Hoffnung und Harmonie strebte.