Münchner Kunstfund - Gurlitt in der Sackgasse
München (dpa) - Sie waren seine Welt, diese Bilder, die er jahrzehntelang hütete wie das, was sie sind: einen Schatz von unglaublichem Wert.
Als die Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2012 plötzlich in seiner Schwabinger Wohnung stand, brach für Cornelius Gurlitt diese Welt zusammen, in der seine besten Freunde, vielleicht seine einzigen, Marc Chagall, Otto Dix, Max Liebermann und Henri Matisse hießen.
Ein Zurück, soviel dürfte klar sein, wird es nicht geben. Auch dann nicht, wenn die Staatsanwaltschaft Augsburg ihm, wie in dieser Woche überraschend angekündigt, rund 300 Bilder wiedergeben will, die ihm zweifelsfrei gehören. In der Wohnung, die inzwischen die ganze Republik kennt, wird er seinen Schatz kaum noch sicher unterbringen können. Schutz bot jahrzehntelang das große Geheimnis. Jetzt, da es gelüftet ist, wäre der Schatz in Schwabing schutzlos.
Lagerkosten und Versicherung sind auch künftig Gurlitts Sache, meint der auf die Rückgabe von NS-Raubkunst spezialisierte Anwalt Matthias Druba. Denn: „Jeder Eigentümer muss für seine Gegenstände selbst sorgen - das gilt auch für Kunst.“ Auf Hilfe vom Freistaat Bayern darf Gurlitt laut Druba nur dann hoffen, wenn der Schuld trägt am höheren Sicherheitsbedarf - zum Beispiel durch die Veröffentlichung. Die aber ging vom Magazin „Focus“ aus, der das, was inzwischen „Fall Gurlitt“ heißt, vor fast drei Wochen öffentlich machte. Ob der Freistaat die Grenze des berechtigten Informationsbedarfs überschritten habe, das sei zu prüfen.
Die Grünen im bayerischen Landtag sehen den Staat auf jeden Fall in der Pflicht. Denn: „Die lange Untätigkeit hat mit dazu beigetragen, dass die Sicherheit der Bilder, die nun zurückgegeben werden sollen, mit großem Aufwand geschützt werden muss“, sagt der Abgeordnete Sepp Dürr.
Die Behörden wollen den 80-jährigen Gurlitt bei der Unterbringung der Bilder unterstützen, das haben sie bereits angekündigt. Die Staatsanwaltschaft will „alle erdenklichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Rechte des Beschuldigten und die Sicherheit der Bilder zu gewährleisten“. Die Berliner Taskforce will das auch. Sie suche das Gespräch mit ihm, um „gemeinsam konstruktive Lösungen zu erarbeiten“, sagt Taskforce-Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel. Es sei auch in seinem Sinne, wenn er erfahre, welche seiner Werke eventuell belastet seien und welche nicht.
Hilfe bei den Verhandlungen, die sich äußerst schwierig und langwierig gestalten dürften, bieten da die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim an, die sich beim Verkauf von Max Beckmanns „Löwenbändiger“ durch das Auktionshaus Lempertz im Jahr 2011 gütlich mit Gurlitt einigten. Ein bislang einzigartiger Präzedenzfall. Im „Spiegel“ gibt sich Gurlitt bekanntermaßen überzeugt: „Freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein.“
Was die Alternative zur Schwabinger Wohnung, in der Gurlitt die Werke trotz der Enge fachgerecht lagerte, sein könnte, dazu schweigen die Behörden sich aus - aus Sicherheitsgründen. Für Gurlitt dürfte der größtmögliche Schaden bereits eingetreten sein. „Andere haben ihre Katze, die sie jeden Abend streicheln, er hatte seine Bilder“, heißt es in Behördenkreisen. Ein solches Bild von Gurlitt ergibt sich auch aus den Gesprächen, die „Spiegel“-Autorin Özlem Gezer mit ihm führte. In einen Menschen sei er noch nie verliebt gewesen, sagt er da. „Mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt in meinem Leben.“
Unterstützung und Verständnis für Gurlitt, das geht dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) derzeit etwas zu weit. Er werde zunehmend als Opfer dargestellt, der „arme Herr Gurlitt“, kritisierte JFDA-Sprecher Levi Salomon. „Die wahren Opfer sind aber die, die von den Nationalsozialisten um ihren Besitz gebracht und vergast wurden.“