Atelier von Otto Piene „ZERO“-Haus: Farbkleckse von Christo und Rauschenberg

Düsseldorf (dpa) - Ein verblichenes Klingelschild ist die einzige Spur zu dem Ort in der Hüttenstraße 104 in Düsseldorf, wo in den 60er Jahren wegweisende Kunstgeschichte geschrieben wurde. „Piene Atelier“ und „Piene priv.“ ist auf den Klingeln in blasser Schrift zu lesen.

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Hinter einer schweren Eisentür liegt ein unscheinbares Hinterhofhaus. Dort, in den hohen Räumen einer ehemaligen Möbelfabrik, arbeitete und wohnte bis zu seinem Tod im Sommer 2014 der ZERO-Künstler Otto Piene, wenn er in Deutschland war.

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Schon 1961 hatte Günther Uecker das Haus angemietet. Aus Geldnot musste er die hohen, lichten Räume untervermieten. So kam es, dass außer den ZERO-Künstlern Piene und Heinz Mack auch Pop-Art-Wegbereiter Robert Rauschenberg, der Verpackungskünstler Christo, der Minimalist Robert Morris, der Werbemann Charles Wilp und sogar der US-Tänzer und Choreograf Merce Cunningham in dem Hinterhof Station machten, wenn sie Ausstellungen in Düsseldorf vorbereiteten.

„Hier sind noch die Spuren von Christo und Rauschenberg“, sagt Tijs Visser, Leiter der „ZERO Foundation. Die von Mack, Piene und Uecker gegründete Stiftung wird das seit den 60er Jahren fast unveränderte Atelierhaus ab Mai mit Hilfe von Sponsoren behutsam sanieren und 2018 dort einziehen.

„Es war fast eine Kommune“, sagt Visser über die Künstleravantgarde, die in dem Haus viele Partys feierte. „Es war ein Kommen und Gehen.“ Auf der gegenüberliegenden Straßenseite arbeitete zu der damaligen Zeit übrigens Gerhard Richter. Während alle Künstler ihrer Wege gingen, blieb Piene der Hüttenstraße über 50 Jahre bis an sein Lebensende treu und nutzte das Haus schließlich ganz allein.

Alles wirkt wie unberührt. Auf dem Boden im Erdgeschoss in Ueckers einstigem Atelierraum sind noch bunte Farbkleckse zu sehen. Hat Rauschenberg die roten Kleckse hinterlassen, Christo vielleicht die gelben? Der Raum ist leer bis auf einige Rollen Plastikschläuche, die Piene für seine Himmelsskulpturen brauchte, und Kartons mit Hunderten Glühbirnen.

Im ersten Stock ist noch die weiße Fotowand von Charles Wilp aufgebaut, dessen berühmteste Kampagne die Afri Cola-Werbung war. Heinz Mack nutzte den Raum als Lichtlabor. Ein schwarzer Flügel steht verstaubt in einer Ecke. In der anderen Ecke stehen Pienes abgefackelte Leinwände mit eingebrannten Löchern.

Der größte Schatz aber befindet sich im zweiten Stock: Pienes abgedunkeltes Feueratelier. Alles wirkt noch so, als sei er nur kurz zur Tür hinaus und käme gleich wieder. Bis kurz vor seinem Tod spielte er an dem langen Tisch mit dem Feuer. Ein Berg von Streichhölzern liegt noch auf den rostigen Metallplatten. Die Decke ist schwarz von Ruß. Unzählige offene Buntlack-Sprühflaschen stehen auf dem Tisch und auf dem Boden. Piene spritzte brennbare Flüssigkeiten auf Leinwände und zündete sie an. Ein wohl noch unvollendetes gelbes Feuerbild mit schwarzer Sonne dürfte eines seiner letzten Werke gewesen sein.

„Piene ging hier um zwei Uhr nachts hin und arbeitete bis morgens vier oder fünf Uhr“, sagt Visser. Niemand durfte das Feueratelier je betreten, nicht einmal Pienes Ehefrau Elizabeth. Die ZERO Foundation will den seit Pienes Tod unveränderten Ateliertisch für die Nachwelt erhalten und mit einer Glaswand vom Rest des Raumes abtrennen, der dann als Bibliothek und Besprechungsraum genutzt werden soll.

Immer noch bringt das Feueratelier Überraschungen hervor. In einem Nebenraum stößt Visser auf Bleidruckvorlagen für die ZERO-Zeitschrift aus dem Jahr 1961. „Das sind ja die Fingerabdrücke von Manzoni!“, sagt er und zeigt die Bleiplatte. Piero Manzoni hatte seine Daumenabdrücke im ZERO-Heft 1961 hinterlassen.

Im Dachgeschoss des Hauses wohnte Piene mit seiner Frau Elizabeth, wenn sie aus Boston zu Besuch nach Düsseldorf kamen. Spartanisch eingerichtet ist es mit selbstgebauten quadratischen Holzhockern und Tischen. Eine kleine fensterlose Schlafkammer ganz in Blau ist wohl eine Reminiszenz an Yves Kleins ultramarinblaue Bilder. Eine einfache Kochecke und ein kleines Bad zeugen davon, dass die Pienes keinen Luxus brauchten. Am Ende konnte Piene die Treppen bis ins Dachgeschoss kaum noch hochgehen. Doch er trennte sich bis zuletzt nicht von dem Hinterhofhaus.

Am 23. April können Kunstinteressierte das Haus letztmals im Originalzustand sehen - und sich in die 60er Jahre zurückversetzen lassen.