Keith-Jarrett-Trio: Schmachtfetzen und Wunder
Jazzkonzert: Das Keith-Jarrett-Trio gastierte beim Klavierfestival Ruhr.
Essen. Zuletzt standen sie in Deutschland in der Bayerischen Staatsoper in München gemeinsam auf einer Bühne. Das war im Juli 2001. Als dann das Klavierfestival Ruhr für diesen Sommer endlich einmal wieder ein Konzert des Ausnahmepianisten Keith Jarrett mit seinen Begleitern Gary Peacock (Kontrabass) und Jack DeJohnette (Schlagzeug) ankündigte, waren die Karten im Nu vergriffen. In der Essener Philharmonie spielte das Trio jetzt das, womit man es am meisten identifiziert: meisterliche Improvisationen über amerikanische Standards.
Die Schlager der Tin Pan Alley, eingängige Melodien von Komponisten wie Cole Porter oder Irving Berlin, oftmals für Broadway-Musicals geschrieben, dienten im Jazz immer schon als Improvisationsgrundlage. Als jedoch Jarrett, der spätestens mit seiner Soloplatte "The Köln Concert" (1974) zum Weltstar avancierte, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals auf Standards zurückgriff, galten sie gemeinhin als "totgespielt" und "out".
"All of You" von Cole Porter ist so ein Schlager, Jarrett hat ihn schon lange im Repertoire. Mit ihm begann der Abend in Essen, das ließ auf einen wenig überraschenden Verlauf schließen. Der Traditional "Basin St. Blues" und Paul Desmonds "Late Lament" folgten und gaben einem damit zunächst recht. Auch sie hat das Trio schon live eingespielt. Mit "One for Majid" folgte zwar ein für Jarrett nicht so geläufiger Song, jedoch reihte er sich flüssig in die Darbietung ein. Aber was zaubern diese drei Spitzenkönner aus dem so gängigen Material.
Jarretts Spiel ist von der ersten Note an von größter Intensität. Er beugt sich tief über die Tasten, dann reißt es ihn vom Klavierschemel hoch, er spielt im Stehen. Kommentierende "Yeahs" und Stöhner sowie das Mitsingen der Melodien gehören ebenso zu seinen nicht unumstrittenen Markenzeichen, auch sie waren in Essen schnell zu hören. All das scheint Ausdruck größter Anspannung, um so verblüffender ist die Leichtigkeit, mit der das Trio manchmal zu schweben scheint.
Das gelingt ihm vor der Pause vielleicht am schönsten mit einem besonderen Schmachtfetzen, der erst seit kurzem zum Programm gehört. "Somewhere" aus Bernsteins "Westside Story" inspiriert die drei Musiker auch zu einer längeren Trioimprovisation, die dem Standard wie eine Coda angehängt wird. Als sie nach einem langen gemeinsamen Diminuendo punktgenau mit einem gemeinsamen Akzent enden, lächelt Peacock Jarrett an, und er, der ansonsten kaum einmal entspannt wirkt, lächelt zurück.
Drei Standards und eine ältere Jarrett-Komposition gab es dann noch nach der Pause. "Straight no chaser" (Monk) nutzten die Musiker allerdings zu einer freien Improvisation, die an Dichte des Zusammenspiels das sonst vorherrschende Abspulen von Akkordschemata noch übertraf. Hatte Peacock bis dahin in fast jedem Stück mit längeren Soli geglänzt, konnte hier DeJohnette einmal mehr aus sich herausgehen. Der Drummer, der ansonsten das Wunder vollbringt, den Swingrhythmus mit komplizierten Zwischenbeats höchst komplex aufzuladen und sich dennoch ganz der Führung Jarretts unterzuordnen, agierte hier auf gleicher Höhe.
Plattengeschichte Keith Jarrett (geb. 1945) spielte 1983 mit Gary Peacock (1935) und Jack DeJohnette (1942) drei CDs ein, von denen zwei für besonderes Aufsehen sorgten: "Standards, Vol. 1 & 2". Im 25. Jahr seines Bestehens gilt das Jarrett-Trio als herausragendstes und beständigstes Klaviertrio des Jazz. Es liegen zahllose Aufnahmen vor, zuletzt: "Up for It" (ECM 1860), "The Out-Of-Towners" (ECM 1900). Am 21. Oktober gibt Jarrett in Frankfurt eines seiner inzwischen noch rareren Solokonzerte (ausverkauft).