Sportfreunde Stiller: Dann macht es Bum(m)

Die WM 2006 ist für die Sportfreunde Stiller nicht nur eine tolle Erinnerung, sondern auch eine Hypothek. Deswegen knüpfen sie nun mit „La Bum“ an die Zeiten vor dem Hype an.

Düsseldorf. Natürlich wollen sie den vergangenen Sommer nicht vergessen, den Händedruck mit Pelé, den gemeinsamen Auftritt mit der Fußball-Nationalmannschaft vor dem Brandenburger Tor, das Lob aus sämtlichen staatstragenden Hälsen, besonders denen, die die Sportfreunde Stiller vor der Weltmeisterschaft bestenfalls für eine literarisch verklärte Thekenmannschaft gehalten hatten. "Was wir da erleben durften, das war einfach das Größte." Peter Bruggers Blick geht ins Leere, dorthin, wo die Erinnerung sich Bahn bricht.

Innerhalb von Sekundenbruchteilen ist er wieder zurück in den Stadien, in denen er gemeinsam mit seinen Bandkollegen Flo Weber und Rüde Linhof das eigene Team anfeuerte, bevor in der Halbzeitpause sämtliche Tribünenkurven in ihre Zählreim-Hymne "54, 74, 90, 2006" mit einstimmten. Dann kurz vor dem Viertelfinale gegen Argentinien noch die Nachricht, dass die Single auf Eins ist. Vor Grönemeyer. "Wir haben uns dann schnell die Frage gestellt: Was soll da überhaupt noch kommen?"

Genauso schnell wie Brugger gedanklich weg war, ist der Frontmann der Sportfreunde Stiller auch wieder im Hier und Heute. Dort versuchen sie nun an die Zeit vor der Masseneuphorie anzuknüpfen. "Für uns ist die Fußball-Platte ein bisschen außen vor. Wir setzen nach ’Burli’ an." Das ist das blaue Album von 2004, der etwas spleenig geratene Feldversuch im Austesten der eigenen Grenzen. Gegen die vehement vorgetragenen Bedenken der Plattenfirma hatten die Sportfreunde ihr Kind zur Welt gebracht. Der Lohn war der erste kommerzielle Großerfolg der Bandgeschichte.

Brugger ist müde. Es ist das achte Interview an diesem Samstag, dem letzten im Juni. Am Tag davor endete die Kurz-Tour durch vier deutsche Städte, in denen sie das Material des neuen Albums "La Bum" live an überschaubarem Club-Publikum testeten. Es sind undankbare Gigs, denn Fans wollen feiern. Zu Songs, die man noch nie gehört hat, gestaltet sich das Mitgrölen allerdings schwierig.

Irgendwann bittet Brugger die knapp 400 Leute im Kölner Gebäude 9, die neue Musik genauso frenetisch aufzunehmen, wie sie es auch mit den Klassikern machen, dem "Kompliment" oder dem "Heimatlied". "Ich habe totales Verständnis, wenn die Leute zurückhaltend reagieren." Brugger wartet noch immer auf den Kaffee, den er sich vor Beginn des Gesprächs bestellt hatte. "Wenn ich zu einem Konzert gehe, will ich auch hören, was ich schon kenne."

Bei einem bestimmten Lied hört das Verständnis für Fan-Begehrlichkeiten allerdings auf. "Den WM-Song wollen wir auf keinen Fall tot nudeln, da hängen zu tolle Erinnerungen dran." Vielleicht begreifen das auch jene Fans, die in Köln als zusammengepferchter Pulk vor der Bühne stehen und den Refrain skandieren, immer und immer wieder. "Wenn das Fußball-Kribbeln wieder da ist, dann spielen wir ihn auch mal wieder." Brugger nickt.

Für manche könnte das auch eine Drohung sein, denn viele konnten mit der als grenzdebil gebrandmarkten Spielfreudigkeit, mit der die Sportfreunde im Handstreich die breite Masse für sich vereinnahmten, nichts anfangen. "Das passiert in Deutschland schnell, dass Bands, die groß werden, einstige Fans verlieren." Mittlerweile ist der Kaffee da.

Brugger wirkt, als hätte er eine lange Reise hinter sich. Tatsächlich war die Arbeit am neuen Album verhältnismäßig kurz. Zwei Songs, "Eine gute Nacht" und "Sodom", waren bereits vor der WM entstanden, der Rest sei "nur so geflutscht".

Auch wenn das Anagram "La Bum", das anders gelesen "Album" ergibt, das nahe legt - verdreht ist das Endergebnis nicht. Und auch den Schnellschuss merkt man ihm nicht an. Es ist ein bisschen Koller zu spüren, die Flucht vor dem Sport, der bislang alle ihre Alben dominierte. Brugger überlegt kurz. "Vielleicht war es unterbewusst tatsächlich so, dass wir nicht nur auf ein Thema reduziert werden wollen."

Kurzkritik: Eigentlich klebte der WM-Taumel an ihnen wieTannenharz. Die Sportfreunde sind ihn trotzdem losgeworden. Zuverdanken haben sie das ihrem sympathischen Peter-Pan-Komplex, der siezurück schießt zu den Anfängen. Bestes Zeugnis dieser kathartischenRückgewandtheit ist das "995er Tief über Island", eine Art"Wellenreiten 2007", das nicht zufällig die trotzige Melancholie imRefrain hat, mit der die Ärzte vor 20 Jahren zurück nach "Westerland"wollten. Die Anleihe sei ihnen gegönnt. Produzent in beiden Fällen warUwe Hoffmann.

Highlights: Die Single "Alles Roger" ist ein nettes Ärgernis,weil sie trotz arg gedrechselter Wortspiele mit ihrem Feten-Refrain dasInnenohr nachhaltig belagert. Dass das aber noch besser geht, beweistdas dröhnende Sehnsuchts-Manifest "Anders als auf Ansichtskarten". Hierist alles perfekt.