Ovationen für Star-Regisseur Wilson: Aus Melvilles tragischem Klassiker macht er in Düsseldorf ein zündendes Bühnen-Spektakel Moby Dick als Musical mit Happy End

DÜSSELDORF · . Haushohe Wellen peitschen auf stürmischer See, aus ihnen ragt ein riesiger schwarzer Wal empor. Der sich aufbäumende „Moby Dick“ fixiert mit seinem Auge den Kapitän Ahab, Offiziere und Harpuniere genauso wie die Zuschauer im voll besetzten Düsseldorfer Schauspielhaus.

 Kilian Ponert (links) und Christopher Nell in „Moby Dick“.

Kilian Ponert (links) und Christopher Nell in „Moby Dick“.

Foto: Lucie Jansch

Spektakuläre, dann wieder verträumte Bilder, mitreißende Lieder, dazu Ausschnitte aus alten Schwarz-Weiß-Filmen: So beginnt die aufregende Hochseefahrt „Moby Dick“, die am Samstag im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere feierte.

Star-Regisseur Robert Wilson setzte das Stück körperlich herausfordernd und als Musical in Szene, mit surreal düsteren Szenen und Tiefgang. Der Amerikaner bringt am Rhein seit 2016 immer mal wieder Saisonknüller heraus – wie „Sandmann“, „Dschungelbuch“ und „Dorian“, die als Repertoire-Schlager bis heute stets ausverkauft sind.

Eine Viertelstunde lang entluden sich nach der Premiere die ausgelassenen Ovationen für Wilson und alle Mitwirkenden, die nach 100 Minuten Hetzjagd auf Moby Dick erschöpft waren. Ganz so traurig wie im Original von Herman Melville schicken Wilson und Songwriterin Anna Calivi das Publikum jedoch nicht nach Hause. Zwar zerlegt Moby Dick den Dreimaster „Pequod“ in seine Einzelteile und reißt alle – bis auf den allwissenden Erzähler Ismael – hinab in die Ozeantiefen. Doch oh Wunder: Prompte Wiederauferstehung! Dank Fantasie spielt und tanzt die Mannschaft am Schluss wieder vor dem alten weiß-grau getünchten Nantucket Designer-House. Sie singt aus vollem Halse „A Man and his Whale“ mit schnulzigem Wohlfühl-Refrain „Ahhhhhhh“. Ein Happy End à la Wilson-Poesie „Cause if I dream it / Maybe will it happen“.

Wie bei anderen Stücken, so setzt der alte Welttheater-Zauberer (im Oktober wird er 83 Jahre alt) in seiner Moby-Dick-Show erneut auf seine unvergleichbare Mischung aus Musical mit Ohrwürmern aus der Feder von Anna Calvi, modernem Tanzabend mit klackenden, blitzartigen, mechanisch wirkenden Posen, Gesten und Grimassen – in Anlehnung an japanisches Kabuki- und chinesisches Schatten-Theater. Punktuell reichert er seine Unterhaltungsästhetik mit poetischen und philosophischen Akzenten an. Dynamisch wird die Bilderflut in dunklen Farben vorangetrieben durch eine Live-Band von Dom Bouffard, die nach dem Finale Furioso genauso wie die Darsteller bejubelt wird.

Klar, dass der Regisseur in 100 Minuten nicht ein Opus summum auf die Bühne bringen will. So fischen Wilson und Chefdramaturg Robert Koall aus dem Kultroman von Herman Melville kurze Episoden und kleine Prisen heraus – wie Betrachtungen über Farben, religiöse Gedankensplitter über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Und über die Liebe zwischen Männern, die gemeinsam jahrelang auf Walfang über die Ozeane fahren, eng nebeneinander in Kojen schlafen. Themen, die alle vorkommen im gleichnamigen Mammutwerk, das schon vor Jahrzehnten Hollywoods Traumfabrik inspirierte – gerade wegen der seltsamen Mixtur aus Roman, Abenteuergeschichten und Philosophie.

Um den Wal ging es dem Amerikaner Melville – mit „Moby Dick“ setzte er ihm auf knapp 1000 Seiten ein literarisches Denkmal, das Zeitgenossen kategorisch als „Irrenhaus-Literatur“ verurteilten. Veröffentlicht 1851, als Walfang ein mühsames und gefährliches Geschäft war.

Ähnlich wie bei Melville spielt auch bei Wilson der alte, humpelnde Kapitän Ahab mit einer Bein-Prothese eine wichtige Rolle (Rosa Enskat). Er hämmert der Mannschaft immer wieder die Bösartigkeit des Meeres-titanen ein, jagt mit seinen Harpunieren den weißen Pottwal, der ihm vor Jahren ein Bein abgebissen hat. Er will Moby Dick töten. Ein persönlicher Rachefeldzug, der in apokalyptisch hochpeitschenden Wellen mündet. Das habe nichts mit kommerziellem Walfang zu tun, wirft ihm Offizier Starbuck (Heiko Raulin) vor. Für ihn ist der Kapitän ein Irrer.

Wilson erzählt die Episoden aus der Sicht des Erzählers Ismael (Kilian Ponert) und von „The Boy“. Letzterer ein stets präsenter, unruhig wirbelnder Zappelphilipp (Christoper Nell) in schicken Shorts, der Wände und an Schiffsmasten hoch und runter krabbelt, plötzlich auf dem Boden alle viere von sich streckt und über den Pottwal sinniert. Mit hintergründigem Humor und beinah buddhistischer Ruhe führt Ismael (Paraderolle für Ponert) durch den hochtourigen Wal-Abend. Er und The Boy von Christopher Nell leiten die Show, kommentieren und ulken, meist in dezenter Selbstironie.

Fazit: ein auf- und anregendes Theater-Spektakel aus Wilsons Zauberwerkstatt.

Termine bis Mitte Februar 2025