Meinung Die SPD und die Ehe für alle - Verpasste Chancen
In Zeiten schwindender Toleranz ein entgegengesetztes Zeichen zu setzen, ist grundsätzlich nicht verkehrt. Gleichwohl muss die Frage erlaubt sein, wie ehrlich es die SPD mit ihrem Projekt „Ehe für alle“ tatsächlich meint.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Genossen Schwule und Lesben lediglich wieder als Wählergruppe entdeckt haben.
Eine vollständige Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften hätte die SPD längst umsetzen können; schon 2015 beschloss die Mehrheit des Bundesrates einen entsprechenden Gesetzentwurf. Auch die Oppositionsparteien haben in der Vergangenheit mehrfach ähnliche Initiativen ins Parlament eingebracht. Doch die SPD im Bundestag hat dafür nie die Hand gehoben. Chancen verpasst. Weil ihr der Mut gefehlt hat, sich mit ihrem Partner Union anzulegen. Übrigens auch während der Koalitionsverhandlungen 2013, obwohl man den Wahlkampf damals mit einer entsprechenden Forderung bestritten hatte.
Insofern ist es wohlfeil und unaufrichtig, ausgerechnet zum Ende der Legislaturperiode wieder mit der Forderung um die Ecke zu kommen. Sie gehört vielleicht erneut ins SPD-Wahlprogramm, aber nicht in den Koalitionsausschuss. Denn alle Parteien ziehen sich nun auch ideologisch in ihre Schützengräben zurück. Die Union wird deshalb erst Recht nicht mitmachen, wie die SPD weiß — und worauf sie wahltaktisch setzt. CDU und CSU müssen in den nächsten Monaten ihr konservatives Profil schärfen, das unter Kanzlerin Angela Merkel weitgehend verloren gegangen ist. Themen wie Einwanderung, Integration und innere Sicherheit stehen dabei ganz oben auf der Agenda, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Gleiche Rechte von Schwulen und Lesben gehören nicht dazu. Zumal man nicht vergessen darf: Auch wenn es in den Reihen der Union einige Anhänger der Idee gibt, die Zahl derer, die damit ein Problem haben, ist nach wie vor deutlich größer.