Meinung Hass und Gewalt sind mitten unter uns

Die Lagebewertung des Bundeskriminalamtes (BKA) muss alarmieren: 576 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat es 2015 bereits gegeben — fast dreimal so viele wie im gesamten Vorjahr. Das Amt warnt vor weiteren schweren Gewalttaten gegen Asylbewerber, Flüchtlingshelfer und auch Politiker.

Meinung: Hass und Gewalt sind mitten unter uns
Foto: Nele Eckers

Wer davon ausgeht, dass hinter jeder fremdenfeindlichen Attacke ein Neonazi steckt, wird durch die Analyse des BKA eines Besseren belehrt. Denn zwei Drittel von denjenigen, die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verübt haben sollen, hatten bislang keinen Bezug zur rechten Szene. Es sind also nicht mehr nur die politisch Verirrten, die aus Angst vor den Migranten kriminell werden. Die Ablehnung des Fremden ist bei Max Mustermann angekommen. Hass und Gewalt sind mitten unter uns, befeuert von Hetze in den sozialen Medien.

Die Politik weiß zwar um die Gefahr, agiert aber hilflos. Eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Länder ist trotz aller Appelle nicht mehr als ein frommer Wunsch. Dass die Türkei die Menschen auf Dauer festhält, nur weil die EU einige Milliarden Euro für Lager überweist, könnte sich als Illusion erweisen. Und dass sich das Problem mit Hilfe von Transitzonen an der Grenze lösen lässt, glaubt vermutlich nicht einmal CSU-Chef Horst Seehofer. Es ist der verzweifelte Versuch, Lösungen anzubieten, die bei genauem Hinsehen keine sind.

In Deutschland droht das, was bei einigen unserer Nachbarn längst Wirklichkeit ist: Massiver Zulauf für rechte, autoritäre Parteien, die auf Ausgrenzung setzen. In Frankreich Le Pen, in Holland Geert Wilders, in der Schweiz die SVP, in Österreich die FPÖ, in Ungarn Viktor Orban.

Angela Merkels „Wir schaffen das“ reicht nicht mehr. Die Kanzlerin muss den Menschen erklären, wie sie ein tolerantes weltoffenes Land erhalten will, obwohl an allen Ecken und Enden die Überforderung mit den Händen zu greifen ist. Die Integration der Flüchtlinge ist ein Generationenprojekt, dessen Dimensionen sich derzeit niemand vorstellen kann. Deshalb ist es falsch, wenn Merkel höhere Steuern für diese zusätzliche Belastungen ausschließt. Und es ist unredlich, so zu tun, als werde es unter den Einheimischen beim Rennen um Wohnungen oder Arbeitsplätze keine Verlierer geben. Mehr Ehrlichkeit in der Debatte wäre gut. Vielleicht könnte sie helfen, dem Hass und der Gewalt den Boden zu entziehen.