Lampedusa ist nicht Berlin

Der Ansturm arabischer Flüchtlinge dürfte noch wachsen.

Als der Flüchtlingsstrom aus Tunesien anschwoll, rieben sich viele verwundert die Augen: Jetzt hat das Volk die Regierung gestürzt und seinen Willen durchgesetzt — warum flüchten die Menschen trotzdem? Doch die Absetzbewegungen haben wenig mit den Machtverhältnissen in Tunesien zu tun. Tausende warten dort teilweise seit Jahren auf ihre vermeintliche Chance. Jetzt, da infolge des Regime-Wechsels die Grenzkontrollen nicht mehr funktionieren, machen sie sich auf den Weg übers Meer. Sie flüchten nicht vor politischer Unterdrückung, sondern vor wirtschaftlicher Not und persönlicher Perspektivlosigkeit.

Wer in Tunesien von der Hand in den Mund lebt, für den ist auch ein schlecht bezahlter illegaler Tagelöhner-Job irgendwo in Europa eine verlockende Perspektive. Und das gilt auch für die Menschen in anderen arabischen Ländern. Lampedusa ist vermutlich nur der Anfang eines riesigen Stroms von Wirtschaftsflüchtlingen, der sich aus liberaler gewordenen Staaten nach Europa ergießt. Denn zur Freiheit gehört ja eigentlich auch Reisefreiheit?

Dennoch wird Europa von den arabischen Staaten verlangen, dass diese ihre Grenzen dichtmachen. Doch das sind, genauso wie scharfe Kontrollen bei der Einwanderung in die EU sowie finanzielle und logistische Unterstützung für das aus geografischen Gründen besonders betroffene Italien, alles nur kurzfristige Abhilfen, aber keine Therapien. Erschwerend kommt hinzu, dass das wirtschaftliche Gefälle zwischen Europa und Nordafrika noch jahrzehntelang bestehen wird. Das Problem der Wirtschaftsflüchtlinge ist folglich nicht so schnell in den Griff zu bekommen — auch nicht mit sinnvollen Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitskräfte und sonstiger Wirtschaftsförderung.

Mit seiner Einschätzung gründlich daneben lag am Montag allerdings der italienische Innenminister Roberto Maroni, als er einen Fall „einer neuen Berliner Mauer“ im Maghreb prophezeite. Der Vergleich hinkt, denn 1989 strömten Landsleute nach Deutschland. In Süditalien jedoch drängen Wirtschaftsflüchtlinge aus anderen Staaten herein. Auch wenn das in Einzelfällen hart sein mag, ist Europa gut beraten, sich um eine rasche und konsequente Ausschöpfung des Asylrechts zu bemühen.