Meinung Merkel muss Seehofer zum ersten Mal ernst nehmen
In seinen zahlreichen Auseinandersetzungen mit Angela Merkel ist der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer häufig als brüllender Löwe gestartet und als miauender Stuben-Tiger geendet. Dass er nun im ZDF-Sommerinterview eine Kanzlerkandidatur gegen die CDU-Vorsitzende nicht mehr ausschließt, müsste Angela Merkel also eigentlich nicht weiter ernst nehmen.
Oder etwa doch?
Seehofer war innerhalb der Union nach außen stets der lauteste Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik, richtiger: ihres Kurses, denn ihr „Wir schaffen das“ mit praktischer Politik zu unterlegen, überließ die Kanzlerin ja weitgehend anderen. Nun haben sich ausgerechnet in Bayern innerhalb einer Woche Gewalt- und Terror-Taten ereignet, von denen seit dem vergangenen Sommer alle deutschen Ministerpräsidenten hinter vorgehaltener Hand fürchteten, sie könnten ihre Bundesländer treffen.
Seehofer steht nun wie kein anderer Unions-Politiker unter dem Druck, handfeste und wirksame Antworten einzufordern und selbst zu geben. Vor diesem Hintergrund überrascht es umso mehr, dass Merkel bei ihrer Erklärung vor der Bundespressekonferenz nicht mehr zu liefern hatte als das Beharren auf ihrem „Wir schaffen das“, während selbst den Gutwilligsten längst Zweifel daran kommen, dass es in der Politik wirklich realisierbare Pläne und Vorstellungen davon gibt, wie sich die Fehler der zu großen Teilen gescheiterten Türken-Integration nun bei einer muslimisch-arabischen Einwanderung von Anfang an vermeiden lassen.
Im vergangenen Jahr hat Merkel das Schicksal ihrer Kanzlerschaft mit der Flüchtlingsfrage verbunden. So unklug es in der vergangenen Woche war, sich nicht konkreter zum „wie“ des Schaffens zu äußern, so klug war es von ihr, keine deutbaren Zeichen abzugeben, ob sie noch einmal antreten will. Dadurch hat sie erneut Zeit gewonnen, aber nicht für lange. Angela Merkel steht vor der Wahl, sich in den kommenden Wochen deutlich zu positionieren oder den Rückhalt innerhalb der Union nachhaltig zu verspielen und ihre Kritiker zu stärken.
Dass die Union mit einer Kanzlerkandidatin Merkel in die Bundestagswahl 2017 zieht, ist zum heutigen Stand jedenfalls nicht mehr gewiss. Deshalb muss sie Horst Seehofer tatsächlich ernst nehmen. Ein gesichtswahrender und zudem überfälliger Weg wäre, das deutsch-türkische Verhältnis vom Kopf auf die Füße zurückzustellen.