Nach dem Wahlrechts-Urteil werden Ungerechtigkeiten bleiben
Nach dem Wahlrechts-Urteil zu Überhangmandaten
Bei einer demokratischen Wahl, so denkt man, hat jede Stimme den gleichen Wert. Doch dem ist nicht so — jedenfalls nicht nach dem deutschen Wahlrecht. Durch die Überhangmandate wird der Zählwert der einzelnen Wählerstimmen verzerrt. Diese zusätzlichen Sitze kommen einer Partei zugute, wenn sie in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als es ihrem Zweitstimmenanteil entspricht. Daran wird sich auch nach dem Karlsruher Richterspruch nicht viel ändern.
Grundsätzlich soll sich die Zusammensetzung des Bundestags daran orientieren, wie viele Zweitstimmen die Parteien einsammeln. Das spiegelt den Wählerwillen am besten wider. Es geht auch durchaus in Ordnung, dass man dieses Verhältniswahlrecht mit Elementen des Mehrheitswahlrechts kombiniert, indem die Hälfte der Mandate im Bundestag an Direktkandidaten — Sieger der Wahlkreise — vergeben wird. Denn so ist gewährleistet, dass die Politik sich nicht zu weit vom Wähler entfernt. Weil jedenfalls ein Teil der Gewählten sich vor Ort bewähren muss.
Auch Überhangmandate waren so lange akzeptabel, wie sie nicht in zu großer Zahl auftraten und nicht nur einer Seite zugute kamen. Dass sie bei der Bundestagswahl 2009 zu 24 zusätzlichen Mandaten führten — ausschließlich zugunsten der Union — zeigt aber den Makel dieser Regelung.
Dass Karlsruhe die Zahl nun auf 15 begrenzt — damit können die großen Parteien gut leben. Sie sind es ja, die mit Überhangmandaten rechnen dürfen, weil die kleinen Parteien kaum Direktmandate erringen. Auch nach dem demnächst auszuhandelnden Gesetz haben die großen Parteien also weiterhin Spielraum, ihre Pfründe zulasten der kleinen Parteien und auch zulasten der Gleichheit des Stimmgewichts zu sichern. Politische Vorstöße, die Überhangmandate ganz abzuschaffen, dürften nun zum Scheitern verurteilt sein.
Wer das beklagt, mag sich damit trösten, dass es weitaus ungerechtere Wahlsysteme gibt. So sorgt zwar das Mehrheitswahlsystem in Großbritannien für stabile Verhältnisse. Doch der Preis dafür ist, dass viele Wählerstimmen ganz unter den Tisch fallen, weil nur der Kandidat ins Parlament einzieht, der den Wahlkreis gewinnt. Kleine Parteien, die neue Ideen in die Gesellschaft tragen, haben da kaum eine Chance.