Nicht Seehofer macht Merkels Terminkalender
Ein bewusst nicht geheim gehaltenes Abendessen von Angela Merkel mit dem derzeit mächtigsten Grünen Winfried Kretschmann kann die Alphatiere der „befreundeten“ Parteien CSU und SPD schon mächtig anfressen.
Die Kanzlerin hat Horst Seehofer und Sigmar Gabriel mit ihrem Grünen-Flirt geärgert. Dass die beiden zurückätzen, kommt da nicht überraschend.
Dabei ist es nur normal, wenn SPD-Chef Gabriel den Koalitionspartner kritisiert. Schließlich wird es gut ein Jahr vor der Bundestagswahl allerhöchste Zeit, eigenes Profil zu zeigen. Horst Seehofer hat Merkel ohnehin oft genug kritisiert, nun will er sie durch bloßes Abwarten ärgern. Abwarten mit einem klaren Bekenntnis, auch im kommenden Wahlkampf mit seiner CSU zu ihr zu stehen.
Doch wenn jetzt gesagt wird, dass Seehofer Merkel in die Warteschleife zwinge und ihr das Heft des Handelns aus der Hand nehme, so ist das Unsinn. Merkel kann und wird nicht so lange warten, bis der CSU-Chef sich im nächsten Frühjahr zu einem Treuschwur entschließt (oder auch nicht). Die Kanzlerin wird spätestens im Dezember auf dem Essener Parteitag erklären, ob weiter mit ihr zu rechnen ist. Denn wenn sie da für den Parteivorsitz kandidiert, kann sie unmöglich die Frage der Kanzlerkandidatur offen lassen. Denn jeder weitere ins Land gehende Monat würde es ihrer Partei erschweren, in der verbleibenden Zeit einen neuen Kandidaten aufzubauen.
Zu viel der Ehre also für Seehofer. Nicht er bestimmt Merkels Zeitplan. Wesentlicher ist ein anderer Aspekte bei der Frage, wann und wie sich die Kanzlerin entscheidet: der Rückhalt in der Bevölkerung. Wenn nun unter Berufung auf eine Umfrage argumentiert wird, dass jeder zweite Bürger eine vierte Amtszeit Merkels ablehnt, dann hört sich das erst einmal negativ an. Doch welcher andere Politiker hätte 42 Prozent der Bevölkerung hinter sich? Auch diese Zahl ergibt sich nämlich aus der Umfrage.
Noch ist nicht klar, wie sich die Flüchtlingskrise und damit auch die Zerrissenheit der EU weiter entwickeln wird. Angela Merkel, das zeigt ihre rastlose Reisediplomatie der vergangenen Tage, kämpft weiter. Auch wenn vielen das angesichts mangelnder Solidarität der Europäer sinnlos erscheinen mag. Doch die Brocken hinzuwerfen — denn eben das würde ein Verzicht auf eine Spitzenkandidatur bedeuten — passt so gar nicht zu ihr.