Leitartikel Hier läuft etwas verkehrt
Man darf froh sein, dass so manches Vorgehen von Lehrerinnen und Lehrern an Schulen allenfalls noch in Erzählungen von Eltern an ihre Kinder existiert. Der Rohrstock ist Geschichte. Stundenlang in der Ecke zu stehen und gegen die Wand schauen zu müssen, ist übereinstimmend als entwürdigend gekennzeichnet.
Auch andere fragwürdige Methoden sind berechtigt nicht mehr existent, weil Unterricht nicht Unterwerfung heißt.
Nun aber hat sich in dieser Republik das Verhältnis ganz und gar ungesund verkehrt: Weg von der Wahrnehmung des Lehrers als Autorität mit Führungsaufgabe hin zu einem Schüler-Anspruch auf ein partnerschaftliches Verhältnis, in dem der Lehrer eine Dienstleistung erbringt, deren Rahmen und Regeln der Schüler bestimmt. Wenn das zur Regel wird, wird Schule scheitern.
Und wenn das Gerichte wie jenes in Neuss nicht feststellen können, weil sie — wie gestern geschehen — zu dem Schluss kommen, der Lehrer habe den Schülern die Freiheit genommen, als er eine Strafarbeit trotz Unterrichtsschluss zu Ende bringen lassen wollte, dann zündet dieses Urteil die Lunte an der Bombe, die künftig in mancher Schule hochgehen wird. Schüler wissen anders als früher sehr viel mehr um ihre Rechte als um ihre Pflichten. Weil wir in einer Wissensgesellschaft leben, in der jeder mit einem Klick im Internet einen Katalog überschauen kann, in dem fein aufgeführt steht, was der Lehrer alles nicht darf. Man mag sich gar nicht ausdenken, mit welchem Hochmut mancher Schüler bald vor seinem Lehrer stehen wird — gerne dann mit dem Verweis auf ein Urteil wie jenes von gestern in Neuss.
Lehrer brauchen mehr Rückendeckung von Schulleitungen und Politik, offenbar auch von Gerichten. Die autoritären Peinlichkeiten der Vergangenheit sind längst aus dem Weg. Jetzt geht es darum, ein gesundes Maß an Respekt zu fördern, dass auch Schülern ganz sicher helfen wird. Am Ende sogar: selbst zu denken.