Meinung Der Fall Gina-Lisa und die zwei Wahrheiten

Der Verteidiger der wegen falscher Verdächtigung verurteilten Gina-Lisa Lohfink weiß gut, mit welchen Argumenten er die bereits angekündigte Berufung öffentlichkeitswirksam untermauern kann. Er hebt die Sache auf eine über den Einzelfall hinausgehende Ebene.

Ein Kommentar von Peter Kurz.

Er sagt, dass er sich Sorgen mache um alle Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigen wollten. In der Tat kann der Fall genau so gesehen werden: Das Opfer einer Vergewaltigung zeigt den Fall an und wird von der Justiz zur Täterin gemacht. Zur Täterin einer falschen Verdächtigung, weil man einer Frau, die sich sexuell freizügig präsentiert, schon deshalb nicht glauben mag.

Man kann den Fall aber auch ganz anders erzählen. So wie es die Staatsanwaltschaft und das Gericht getan haben. Das angebliche Opfer war demnach wirklich Täter. Weil es die Ermittler belog und einvernehmlichen Sex in eine Vergewaltigung umdeutete. Das Motiv: Wahrung des eigenen Rufes, nachdem das Video aus der fraglichen Nacht öffentlich geworden war. Daher die falsche Verdächtigung zweier Männer, die sich zwar widerlich verhalten hatten, als sie das Video veröffentlichten. Die aber einvernehmlichen Sex mit der Frau hatten — denn wer würde schon eine selbst als Vergewaltigung angesehene Tat auch noch per Video öffentlich machen?

Zwei „Wahrheiten“, die nicht zueinander passen — wie so oft vor Gericht. Ganz besonders dann, wenn es um angezeigte Sexualstraftaten geht. Hier kommt die Justiz bei der Aufklärung intimster Details immer wieder an ihre Grenzen.

Der Fall Gina-Lisa hat im Sommer die „Nein heißt Nein“-Debatte über ein dann auch tatsächlich verabschiedetes strengeres Sexualstrafrecht befeuert. Politiker und Politikerinnen, egal wie fern sie der Tataufklärung in diesem Fall standen, haben ihn doch als Argumentationsfutter genommen. Jedoch zeigt gerade dieses Beispiel, dass die Erwartungen, die manch einer in das neue Gesetz hat, nicht einfach zu erfüllen sind.

So richtig es ist, ein „Nein“ als rote Linie anzusehen, jenseits derer sexuelle Handlungen zur Vergewaltigung werden können, so eindringlich zeigt auch dieser Fall: Es ist und bleibt Aufgabe der Justiz, so akribisch wie möglich den Sachverhalt zu klären. Da gibt es nun mal Beweisnöte. Aber Gutachten und Zeugenvernehmungen sind als Urteilsgrundlage nun mal die besten Mittel. Viel besser jedenfalls als jede von außen eingebrachte, von Detailkenntnissen ungetrübte Schlaumeierei.