Meinung Realpolitik zeigt ihr hässlichstes Gesicht
Das ging ganz flott: Nachdem der Staat die Redaktion der regierungskritischen türkischen Zeitung „Zaman“ mit Gewalt übernommen hat, erschien die Sonntagsausgabe des Blattes mit einem Foto von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf der Titelseite.
Der mächtige Mann vom Bosporus lächelt zufrieden. Das kann er auch. Denn Erdogan hält alle Trümpfe in der Hand. Der Staatspräsident fühlt sich so überlegen, dass er die Pressefreiheit wenige Tage vor dem Sondergipfel in Brüssel mit Füßen tritt. Die Türkei driftet immer weiter weg von jenen Werten, die die Europäische Union gerne als ihre Identität verkaufen möchte — Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber im Angesicht der Flüchtlingskrise fällt das kaum ins Gewicht. Lautstarke Kritik gibt es nicht, Sanktionen erst recht nicht. Brüssel und Berlin wollen Ankara als Partner nicht verlieren. Realpolitik zeigt hier ihr hässlichstes Gesicht.
So wird der Gipfel heute die Vorgänge in der Türkei möglichst zur Seite schieben. Erdogans Reich bekommt seine Milliarden. Womöglich folgen schon bald Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, selbst in die festgefahrenen Beitrittsverhandlungen könnte wieder Bewegung kommen. Hauptsache, die Türkei verpflichtet sich im Gegenzug, die Flüchtlingsbewegung nach Europa zu bremsen und Migranten, die offensichtlich keinen Anspruch auf Asyl haben, wieder zurückzunehmen. Schulterschluss mit einem Partner, zu dem die EU eigentlich auf Distanz gehen müsste.
Vor allem Angela Merkel steht vor dem Treffen in Brüssel mächtig unter Druck. Verbündete in der Flüchtlingskrise hat sie in Europa nicht wirklich. Die Kanzlerin setzt alles auf die türkische Karte. Und macht sich damit zur Geisel Erdogans. Die Türkei wird selbstbewusst mehr Geld fordern. Drei Milliarden Euro sollen nicht einmal, sondern jährlich fließen, um Ankara bei den Flüchtlingen zu entlasten. Zahlt die EU nicht, stranden die Menschen in Griechenland.
Dort spitzt sich die Lage schon jetzt dramatisch zu, da die Balkanroute immer undurchlässiger wird. Die Gemeinschaft der EU-Staaten lässt das gebeutelte Land im Süden Europas allein. An der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien werden bewusst jene Bilder erzeugt, die die Zuwanderer abschrecken sollen. „Kommen Sie nicht nach Europa“, so lautet die Botschaft, die der Gipfel bekräftigen wird. Die EU macht dicht. Und die Türkei ist der zwielichtige Türsteher.