Rüttgers setzt den Blinker wieder links
Ein Kommentar von Frank Uferkamp
Jürgen Rüttgers hat in Essen die Rede gehalten, die zu seinem Selbstbild als Arbeiterführer Nordrhein-Westfalens passt: als selbstbewusster Ministerpräsident, als klarer Favorit für die anstehenden Wahlen und mit einem irgendwie sozialdemokratischen Grundton. Man wähnte sich tatsächlich auf der falschen Veranstaltung, so vehement vertrat der oberste Christdemokrat Werte und Ideen, auf die lange Jahre die SPD die Alleinvertretungsansprüche zu haben meinte. Das ist nun vorbei. Rüttgers hat den Genossen das Monopol auf die Begriffe Solidarität und Gerechtigkeit genommen.
Das ist der Grund dafür, dass er für die SPD ein so gefährlicher Gegner ist. Zehn Jahre ist Rüttgers nun Chef der NRW-CDU. Er hat aus einem zerstrittenen Haufen eine schlagkräftige Regierungspartei geformt und sie innerhalb der Bundespartei zum linken Gewissen gemacht. Diese Ummodeln der Christdemokraten entspringt einer kühlen Analyse: Wer in NRW Mehrheiten holen will, findet sie nicht mit strukturkonservativen Konzepten, sondern muss sich als ein Politiker mit ausgeprägt sozialem Gewissen präsentieren. Das meint Rüttgers, wenn er sagt, er wolle die Johannes-Rau-Wähler gewinnen.
Die fühlen sich zumindest bislang noch nicht alle bei SPD-Landeschefin Hannelore Kraft gut aufgehoben. Die NRW-CDU folgt ihrem Frontmann ohne Murren, schließlich geben ihm die Wahlergebnisse Recht. Der Erfolgreiche ist immer beliebt. Solange Rüttgers Wahlen gewinnt, hat er nichts zu fürchten, die Wirtschaftsliberalen - denn die gibt es ja auch in der NRW-CDU - halten still.
So lange die Wahlen gewonnen werden, hat Rüttgers aus dieser Ecke keine Probleme. Und auch die FDP kann mit dem linken Rüttgers gut leben. Er lässt den Liberalen genug Raum, sich als ordnungspolitisches Gewissen zu präsentieren. Ihre ordentlichen Umfrageergebnisse auch in Nordrhein-Westfalen sprechen eine deutliche Sprache.
Für die SPD ist die Situation fatal. Der Rüttgers von Essen lässt ihr kaum programmatischen Raum. Sie werden allerdings von Rüttgers fordern, dass seinen sozialen Worten auch Taten folgen müssen. Doch zum Auftakt des Superwahljahrs sind sie erst einmal in der Defensive, Rüttgers gibt derzeit den Takt vor.